Tag für Tag springt uns im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken und Chats, die Vergewaltigung der deutschen Sprache förmlich an.
Es wird geschrieben ohne Punkt und Komma, Nebensilben verschwinden und an Groß/Kleinschreibung ist nicht zu denken. „Digger, Alder“ und „deine Mudda“ werden zu neuen Satzgliedern, auf die scheinbar nicht verzichtet werden kann. Dieses Phänomen wurde von zahllosen Sprachkritikern bereits angeprangert und hat für Theorien zum Sprachverfall gesorgt. Ein Journalist des „Hamburger Abendblatts“ hat sich dessen ebenfalls angenommen, allerdings sticht sein Statement heraus.
Er sieht den gewöhnungsbedürftigen „Sprachwandel“ nicht als Verfall, sondern eher als Bereicherung der Sprache:
„Digger, Alder und die Interpunktion
Eine Glosse von Sven Stillich
Man kann es lustig finden, man kann sich darüber aufregen – nur ignorieren kann man es nicht: dass viele Jugendliche nicht mehr in der Lage sind, einen Satz ohne „Alder“ oder „Digger“ zu beenden. Wer darüber klagt, mag das tun, er muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass Lamentieren nichts nutzt. So ist das eben. Wird auch wieder weggehen – oder wir reden alle irgendwann so.
Linderung könnte ein Gedankenexperiment schaffen: Vielleicht ist das, was da gesprochen wird, gar keine niedere Sprache – sondern eine höher entwickelte. Eine, die aus Gründen der besseren Verständlichkeit in allzu lauten Umgebungen (Bus, Tankstelle, Schulhof) ihre Interpunktion mitspricht. „Digger“ wäre ein Komma, „Alder“ ein Punkt („Diggeralder“ folglich ein Semikolon), und „deine Mudder“ stünde für das Ausrufezeichen.
Irgendwann werden vielleicht Bücher in dieser Sprache erscheinen, Neuauflagen von Klassikern, inklusive „Es irrt der Mensch Digger solang er strebt Alder“ (Goethe), „Gott würfelt nicht deine Mudder“ (Einstein). „Sein oder nicht sein Digger das ist hier die Frage Alder“ (Shakespeare) und natürlich „Geben Sie Gedankenfreiheit Digger Sire deine Mudder“ (Schiller).
Soll heißen: Es ist oft besser, sich blöde Gedanken zu machen, als über etwas zu klagen, das man nicht ändern kann. Sprache kommt und Sprache geht. Also: ruhig bleiben. Oder, wie Ravel sagte: „Die größte Kraft auf der Welt ist das Pianissimo Digger“.“
Zwar tritt der Autor der allgemeinen Entrüstung über diese sog. „Jugendsprache“ mit Humor gegenüber, allerdings bleibt doch die Frage, inwieweit sich diese Tendenzen, die im Sprachgebrauch im Netz zu erkennen sind, auf die Sprache im Allgemeinen auswirken.
Jugendsprache kommt und geht, „knorke“, „Backfisch“, „groovy“ und Co haben sich auch nicht in unserem Sprachgebrauch gehalten, aber der Trend weg von Rechtschreibung und Grammatik und hin zu Abkürzungen und Smileys scheint anderer Natur zu sein.
Schon jetzt bemerken vor allem Lehrer diesen Wandel. Schüler werden nachlässig in Bezug auf Interpunktion und Groß/Kleinschreibung und verwenden tatsächlich vereinzelt Smileys hinter Schlusssätzen in Klassenarbeiten.
Ursprung dieses „Schreibstils“ sind zweifelsohne Internet und SMS.
Sprachökonomie steht an erster Stelle und es wird geschrieben, „wie der Schnabel gewachsen ist“. Soweit kein Grund zu Beunruhigung oder zu Kritik- dieser Schreibstil gehört zum Internet ebenso wie „www“ und „http“.
Gewöhnen sich jedoch die (meist jungen) Nutzer an diesen Stil, fällt es immer schwerer, ihn nicht in die Schriftsprache einfließen zu lassen. Und genau dort liegt die Gefahr. Solange Rechtschreibung beherrscht wird, wenn es darauf ankommt, ist Internet- und SMS-Slang nichts anderes als eine gesonderte Sparte im Sprachgebrauch. Nimmt aber die Kleinschreibung, die fehlende Interpunktion und die Vernachlässigung der Rechtschreibung außerhalb des Cyberspace Einfluss auf den Sprachgebrauch, dann ist dieser Trend nicht mehr zu belächeln. Durch das Pushen der Sprachökonomie auf Kosten der korrekten Schriftsprache geht uns diese allmählich verloren.
RIP: Interpunktion und Rechtschreibung-gegen Smileys und deine Mudda hat niemand eine Chance…
Ein Trend Digger der manch einem nicht ohne Grund Kopfschmerzen bereitet Alder
Quelle: http://www.abendblatt.de/hamburg/article1908137/Digger-Alder-und-die-Interpunktion.html (Stand: 15.07.2012)