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Polen verabschiedet umstrittenes Mediengesetz

Ein Kampf um die Meinungsvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Medien und die Zukunft der kommerziellen Medien

Seit der Parlamentswahl im Oktober 2015 verfügt die  nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (“PiS”) über die absolute Mehrheit im Warschauer Parlament und verabschiedet seitdem im Eiltempo eine Reihe umstrittener Gesetze, die den polnischen Staat reformieren sollen.

Die neue nationalkonservative Regierung Polens: Ministerpräsidentin Beata Szydlo,  PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und sein Vize Ryszard Terlecki    © dpa

Mitte Dezember wurde zunächst das alte Verfassungsgericht als Hüterin der Demokratie entmachtet. Die Arbeit der Verfassungshüter wird damit neu geregelt und erheblich erschwert. Die Regierung bestimmte bereits fünf neue Verfassungsrichter und löste damit eine Welle der Kritik von Opposition,  Medien und ausländischen Politikern aus.

Zum Jahreswechsel wurde im Eilverfahren ein neues Mediengesetz verabschiedet, dass die Säuberung der öffentlich-rechtlichen Medien und des Beamtenapparats erleichtern soll. So wird es der rechtskonservativen Regierung nun möglich sein, Direktoren der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender zu berufen, die Zahl der Kontrollratsmitglieder der Stationen zu begrenzen und die Mandate der derzeitigen Amtsträger zu beenden.

Außenminister Waszczykowski: „Wir wollen lediglich unseren Staat von einigen Krankheiten heilen, damit er wieder genesen kann.” © REUTERS

„Wir wollen lediglich unseren Staat von einigen Krankheiten heilen, damit er wieder genesen kann“,  sagte Polens Außenminister Witold Waszczykowski der “Bild“-Zeitung. Bei den Medien sei unter der Vorgänger-Regierung ein bestimmtes linkes Politik-Konzept verfolgt worden. „Als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen – zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energie setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen.” Das habe mit traditionellen polnischen Werten nichts zu tun, so Waszcykowski.

Kurz nach Verabschiedung des Gesetzes folgte eine Rücktrittswelle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Direktoren von vier Programmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TVP reichten ihren Rücktritt ein. Damit wollten sie offenbar ihrer Entlassung zuvorkommen, die sie durch das neue Mediengesetz befürchteten.

Nicht nur internationale Journalisten- und Medienorganisationen hatten das Gesetz scharf kritisiert. Auch EU-Kommissar Günther Oettinger sieht in Polens neuem Mediengesetz Gefahren für die Pressefreiheit.

Günther Oettinger: „Ein Intendant darf nicht ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Das wäre Willkür.“ © dpa

Eine EU-Kommission beschäftigt sich am 13.Januar bei ihrer 1. Sitzung im neuen Jahr über die Lage in Polen. Sie sieht durch die Eingriffsmöglichkeiten der Regierung die Unabhängigkeit der Medien bedroht. Die geplante Beratung ist die Vorstufe zu einem  Prüfverfahren, das die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedstaaten überwachen soll.

„Es spricht viel dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen“, sagte der für Medienpolitik zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Der Rechtsstaatsmechanismus der EU wurde 2014 eingeführt und sieht einen verstärkten Dialog mit einem Mitgliedsland vor, wenn die EU-Kommission Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit befürchtet. Wenn das Mitglied nicht auf Änderungswünsche der Kommission reagiert, droht ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen europäische Grundwerte. Bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der im EU-Vertrag verankerten Werte kann in letzter Konsequenz das Stimmrecht des Landes bei Ministerräten und EU-Gipfeln entzogen werden. Weil diese Sanktion so hart ist, kam sie bislang nicht zum Einsatz. Diplomaten sprechen von einer „Atombombe“.

Tagesschau vom 03.01.2016 20:15 Uhr: EU Kommission droht Polen wegen Mediengesetz mit Aufsicht

 

Quellen:

http://www.tagesschau.de/thema/mediengesetz/

http://www.welt.de/politik/article150505395/Parlament-verabschiedet-umstrittenes-Mediengesetz.html

http://www.tagesspiegel.de/politik/polen-das-mediengesetz-und-die-eu-polens-aussenminister-gegen-welt-aus-radfahrern-und-vegetariern/12784944.html

http://www.tagesspiegel.de/politik/protest-gegen-mediengesetz-ruecktrittswelle-im-polnischen-rundfunk/12783122.html

http://www.welt.de/politik/ausland/article150570603/Ist-Polen-fuer-euch-nur-Lieferant-billiger-Arbeiter.html

„Niemand verschließt den Polen den Mund“ – Wie die polnischen Medien gegen das neue Mediengesetz protestieren

Seit Ende Oktober bildet die konservative Partei PiS die Regierung in Polen. Nun wurde am 31.12.2015 ein neues Mediengesetz verabschiedet, nach dem sie Posten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk besetzen darf. Die polnische Medienwelt protestiert.

„In den letzten Wochen verhalten sich die Medien, als ob sie dem polnischen Staat den Krieg erklärt hätten“, sagt Prof. Andrzej Zybertowicz, Berater des polnischen Präsidenten, in der Talkshow „Puenta“. Damit reagiert er darauf, dass der Radiosender PR1 zum Protest gegen das neue Mediengesetz seit Beginn des neuen Jahres regelmäßig die polnische und die europäische Hymne sendet.

Proteste in Radio und Fernsehen

Außerdem sind vier bedeutende Figuren des polnischen Fernsehens zurückgetreten.
Eine von ihnen ist Katarzyna Janowska, die den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender „TVP Kultura“ leitete. Sie verabschiedete sich auf Facebook von katarzynajanowskafbihren Zuschauern und postete dazu ein Bild, auf dem zu lesen ist: „Nie lekajcie sie!“, zu Deutsch: „Habt keine Angst!“.

Tomasz Lis, ein polnischer Journalist, der eine bedeutende Talkshow leitete, trat ebenfalls zurück. Er verabschiedete sich mit einem offenen Brief auf der Internetseite naTemat.pl vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender „TVP“ und wendete sich an den künftigen Senderchef, Europaabgeordneten Jacek Kurski, und bat ihn, die Mitarbeit am neuen Staatsfernsehen zu überdenken. Der Brief endet mit den Worten: „Niemand verschließt den Polen den Mund. Niemand verschließt mir den Mund. Auf Wiedersehen.“

Oettinger will Aufsicht für Warschau

Günther Oettinger, der für Medienpolitik zuständige EU-Kommissar, sprach sich dafür aus, den Rechtsstaatsmechanismus zu aktivieren und Warschau zu beaufsichtigen. In Deutschland ist die Verstaatlichung des Rundfunks mit dem 1. Rundfunkurteil von 1961 verboten worden. Viele polnische Bürger sehen die junge Demokratie in ihrem Land durch die Entscheidungen der neuen Regierung bedroht und demonstrieren. Mit der Verstaatlichung der Medien stehen die Werte der EU und damit Grundpfeiler der Demokratie auf dem Spiel, die es zu schützen gilt.