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Der Fall Kretzschmar –

Wenn der Punk zum Nazi gemacht wird

Stefan Kretzschmar, ein Profisportler, ein renommierter Handballer, der schon zu seiner aktiven Zeit immer wieder aneckte. Nun trifft auch den ehemaligen Punk die „Nazi-Keule“.

Kretzschmar im T-Online Interview.

In dem polarisierenden Interview thematisiert Kretzschmar die Probleme, die ein Sportler auf sich zieht, sollte er mit seinen Aussagen zu weit vom gesellschaftlichen Konsens abweichen.

„Sobald wir eine gesellschaftskritische Meinung äußern, haben wir von unserem Arbeitgeber mit Repressalien zu rechnen.“,

so die Aussage im Interview. Und mit diesen Worten hat er grundsätzlich recht, oder? Kein Werbepartner, kein Sponsor trägt einen Sportler, der sich öffentlich zum rechten oder linken Rand bekennt. Kein Club hält einen Spieler, der durch politische Äußerungen Negativ-Schlagzeilen macht. Und so schweigen die Athleten, oder passen sich der allgemeinen Stimmung an, um nicht ins Kreuzfeuer der Medien zu geraten und im Anschluss in den sozialen Netzwerken zerrissen zu werden. Bis hier hin schön und gut. Klingt verständlich oder? Aber an welchem Punkt nahm das Interview die Wendung in Richtung „Nazi“?

Das umstrittene Interview.

In dieser Angelegenheit gibt es zwei besondere Knackpunkte: Zunächst ein kleiner, man könnte es Fehler nennen, Kretzschmars. Um die „Mainstream-Meinung“ zu verdeutlichen nennt er die Beispiele „Wir sind bunt“ und „Refugees welcome“. Sie finden noch nichts Verwerfliches? Hier haben wir einen klassischen Fall von „Der Ton macht die Musik“. Eine kleine Unachtsamkeit Kretzschmars, ein etwas zu resignierter Blick, ein zu beiläufiger Tonfall und der Shitstorm ist nicht mehr weit. Doch um es perfekt zu machen, wird auf Twitter, Facebook und Co. im Laufe der Debatte der Kontext vernachlässigt. Und so regnet es die ersten „Nazi“-Kommentare. Der zweite Knackpunkt. Mit jedem weiteren Tweet, mit jedem neuen Kommentar gerät in Vergessenheit, dass es dem Profisportler doch eigentlich nur um den Profisport ging.

Stefan Kretzschmar in jungen Jahren.

Doch damit nicht genug. Die AfD Heidelberg verbreitete das Video und pflichtete Kretzschmar, dem die politische Ausrichtung der Partei wohl nicht fernen liegen könnte, bei. Aber auch hier sieht man es mit den Fakten und dem Kontext nicht so eng. Und wo die AfD postet ist der Gegenwind nicht weit. Und dieser Gegenwind macht auch vor einem Stefan Kretzschmar nicht halt. Die Kommentare überschlagen sich, es wird geteilt und retweetet. Aber was sagt der Auslöser selbst zu dieser aufgebauschten Debatte? In einem Interview mit der Süddeutschen vom 14.01. sagt er: „Das sagt das aus, was ich mit dem Interview gesagt habe.“ Dennoch sei er überrascht gewesen, von dem was daraus gemacht wurde. Ein größeres Problem sei jedoch die Instrumentalisierung für ihn gewesen:

„Dass ich allerdings politisch instrumentalisiert werde, von einer Richtung, der ich fremder und ferner nicht sein könnte, das ist natürlich tragisch und grotesk.“

Wir fassen also zusammen:

Ein Versuch auf mehr Mut zur Meinungsäußerung aufmerksam zu machen wird zum Spielball zwischen links und rechts, befeuert von den sozialen Medien. Dabei war das Anliegen Kretzschmars doch eigentlich sehr nobel oder nicht? Besonders Profisportler mit einer Vorbildfunktion für, vor allem, junge Menschen, sollten zu einem öffentlichen Diskurs beitragen. Doch es ist mit Sicherheit zu beachten, dass man auch als Topathlet an gewisse Regeln gebunden ist, sobald man einen Vertrag unterschrieben hat.  Kretzschmars Bedenken wurden wohl mehr als bestätigt, sowohl von links, als auch von rechts und es bleibt abzuwarten, ob diese Debatte über eines der grundlegendsten Dinge unserer Gesellschaft Früchte tragen wird, oder nur einer von vielen kurzweiligen Shitstorms bleibt.

Forbidden Stories: die Gefahren des investigativen Journalismus

Weltweit wurden im Jahr 2017 65 Medienschaffende getötet, wie Reporter ohne Grenzen im Dezember berichtete.

Ein Todesopfer: die Journalistin Miroslava Breach.

Dem Netzwerk Forbidden Stories ist es zu verdanken, dass die Recherchearbeit einiger mexikanischen Journalisten überhaupt veröffentlicht werden konnte.

Forbidden Stories ist ein gemeinnütziges Projekt, das von Freedom Voices Netzwerk initiiert wurde. Reporter Ohne Grenzen (ROG) ist Partner des Projektes.

„Ziel des Projekts Forbidden Stories ist es, die Arbeit von Journalisten fortzusetzen, die das selber nicht mehr tun können – weil sie bedroht, inhaftiert oder getötet wurden. Wir möchten ihre Geschichten am Leben erhalten und sicherstellen, dass so viele Menschen wie möglich Zugang zu unabhängigen Informationen haben über so wichtige Themen wie Umwelt, Gesundheitswesen, Menschenrechte und Korruption“, sagte Freedom Voices Network-Gründer Laurent Richard.

Investigative Journalisten, deren Leib und Leben durch ihre Recherchen gefährdet ist, können ihre Daten mittels verschlüsselter Kommunikation an Forbidden Stories schicken. Mögliche Programme der verschlüsselten Kommunikation können hier der Messenger-Dienst Signal oder die Whistleblower-Software SecureDrop sein.  Die Journalisten müssen der Veröffentlichung der Daten zustimmen und können weiterhin Anweisungen geben, wie und wann ihre Recherchen fortgesetzt werden sollen.  Sollte den Journalisten zwischenzeitlich etwas zustoßen, so kann Forbidden Stories die Recherchearbeiten abschließen und mittels eines Kooperationsnetzwerkes verschiedener Medien  umfassend verbreiten.

So auch im Fall der getöteten mexikanischen Journalistin Miroslava Breach:

 

Das Projekt Forbidden Stories kann allerdings nur der Anfang sein. Viel zu häufig werden Journalisten, die kriminelle Aktivitäten aufklären möchten, noch ermordet. Viel zu häufig werden auch noch heute Grundrechte wie Presse – und Meinungsfreiheit auch von den regierenden Parteien von Ländern angegriffen, die sich selbst als demokratisch bezeichnen.

Um die Verantwortlichen für solche Verbrechen endlich zur Rechenschaft zu ziehen und den Kreislauf der Straflosigkeit zu durchbrechen, wirbt Reporter ohne Grenzen bei den Vereinten Nationen intensiv für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten. Dieser sollte die Bemühungen der verschiedenen UN-Institutionen zum Schutz von Journalisten koordinieren, die bestehende völkerrechtliche Vorschriften durchsetzen und auf diese Weise die Zahl von Übergriffen und Gewaltakten gegen Journalisten endlich wirksam verringern.

Es bleibt zu sehen inwiefern sich die UN dieser Aufgabe in Zukunft annehmen wird. Bislang bleiben ihre Resolutionen zum Schutz der Journalisten fast vollkommen wirkungslos, was die steigenden Anzahl an ermordeten Journalisten leider beweist.

Das Interview-Paradoxon

Hier geht es nicht um ein Interview. Hier geht es auch nicht um das Interview. Nein, hier geht es um „The Interview“, den kontrovers diskutierten Satire-Streifen über zwei amerikanische Journalisten (gespielt von Seth Rogen & James Franco) mit dem Auftrag, den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un umzubringen. So weit so albern. Naturgemäß kam das Drehbuch bei der Regierung in Nordkorea eher semi-gut an. Diese reichte bei der UN Beschwerde ein und sprach von einer „Kriegshandlung“ sowie einer Befürwortung terroristischer Aktionen. Doch alles Klagen und Drohen half nichts – Sony Pictures machte keinerlei Anstalten die Filmproduktion einzustellen. Etwas weniger als ein halbes Jahr ist das mittlerweile her. Seitdem ist viel passiert.

Zunächst war das Filmstudio Sony Pictures einem schwerwiegenden Hackerangriff ausgesetzt, bei dem nicht nur unveröffentlichtes Filmmaterial, sondern auch vertrauliche Daten zu Schauspielern und Angestellten inklusive pikanter Mailverläufe erbeutet wurden. Im Anschluss an die Übergriffe meldete sich die Hacker-Gruppe „Guardians of Peace“ zu Wort und warnte davor, „The Interview“ in die Kinos zu bringen. Mit Verweisen auf den 11. September wurden wirkungsvoll Ängste vor neuen Terroranschlägen geschürt: Mehrere Kinos nahmen Abstand von der Veröffentlichung und Sony Pictures sagte infolgedessen die für den ersten Weihnachtstag angesetzte Premiere ab. Schnell entbrannte eine hitzige Debatte über die Angemessenheit der Reaktion von Sony, in die sich sogar Präsident Obama höchstpersönlich einschaltete. Zentrum der Kritik war die Befürchtung, durch das Aussetzen der Veröffentlichung einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen zu haben: das Zugeständnis an ein totalitäres System, in die Meinungsfreiheit der Vereinigten Staaten einzugreifen.

Nun haben wir besagten 25. Dezember und man höre und staune, „The Interview“ läuft nicht nur im Kino, er ist darüber hinaus bereits online (Google Play, YouTube Movies etc.) per Leihe oder Kauf verfügbar. Über 200 Lichtspielhäuser in den USA entschieden sich dafür, die brisante Komödie den Warnungen zum Trotz auf die Leinwand zu bringen. Sony kommt also mit einer Rolle rückwärts daher, deren Haltungsnoten eher mäßig ausfallen. Aus finanzieller Hinsicht ist der aus dem Fußball bekannte „Rücktritt vom Rücktritt“ durchaus nachvollziehbar, schließlich hat der Film gut 45 Mio. Dollar gekostet. Geld, das erst einmal wieder eingespielt werden will. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb  schmeckt das Ganze etwas nach unfreiwilligem PR-Stunt. Keine Werbung dieser Welt hätte „The Interview“ ein solches Maß an medialer Aufmerksamkeit bescheren können. Und hier kommt das erboste Nordkorea ins Spiel, dem das FBI mittlerweile nachgewiesen haben will, hinter dem Hackerangriff auf Sony zu stecken.

Die Drohgebärden aus dem isolierten Teil der koreanischen Halbinsel haben den Film zur verbotenen Frucht gemacht. Nicht nur das, „The Interview“ zu gucken ist zu einem Statement geworden. Eine Trotzreaktion auf den Versuch eines totalitären Staates, die Meinungsfreiheit in einer Demokratie zu beschneiden. „Jetzt erst recht“, diese Haltung kommt auch zum Ausdruck, wenn man einen Blick auf das User-Rating der „Internet Movie Database“ (IMDb) wirft. „The Interview“ wird dort – Stand 25. Dezember, 20:15 Uhr – mit einer unverhältnismäßig hohen Bewertung (9,2 von zehn Sternen bei ca. 56.000 Stimmen) gelistet. Der Metascore von 52 spricht eine andere Sprache und rückt die Qualität des Films in ein stimmigeres Licht. „The Interview“ ist ein harmloser Streifen mit pubertärem Humor und einigen sehr klischeehaften Spitzen in Richtung Nordkorea. Besonders mit zunehmender Dauer baut der Film ab und entpuppt sich als das, was er ist: eine seichte Komödie mit polarisierender Rahmenhandlung. Nichts, was nicht im Handbuch „Aufmerksamkeit generieren für Dummies“ stehen würde. Wie man sieht, ist ihnen das bestens gelungen.

Reporter ohne Grenzen Jahresbilanz 2008

Heute hat die NGO Reporter ohne Grenzen in Berlin ihren Jahresbericht für 2008 vorgestellt. Insgesamt weisen die Zahlen eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr auf.

Während laut RoG 2007 mindestens 86 Journalisten und 20 Medienmitarbeiter umkamen, seien es 2008 nur 60 Journalisten und ein Medienmitarbeiter gewesen. Auch die Zahl der festgenommenen Journalisten soll sich von fast 900 auf knapp 600 verringert haben. Genauso wie sich Entführungen fast um die Hälfte, von 67 auf 29, verringert haben sollen.

Veränderungen habe es auch hinsichtlich der Rangliste der für Journalisten gefährlichsten Länder gegeben. Erwartungsgemäß und trotz sich entstpannender Sicherheitslage liegt laut dem Jahresbericht der Irak wieder auf dem ersten Platz. Pakistan dagegen rückte um einen Platz nach vorne. Auf Platz drei stehen die Philippinen, während letztes Jahr Somalia noch auf Platz zwei und Pakistan auf Platz drei stand.

Insgesamt konstatiert Reporter ohne Grenzen, dass sich die Repression gegenüber Journalisten traditioneller Medien zwar verringert habe, dafür aber „konzentrieren viele Regierungen ihre repressiven Maßnahmen stärker auf das Internet“. Insbesondere Blogger gerieten verstärkt ins Visier, jüngstes Beispiel ist hier wohl der Fall des im Iran inhaftierten Bloggers Hossein Derakhshan aka „Blogfather“.

Die ausführliche Version der Jahresbilanz stellt RoG als PDF zum Download.

Reporter ohne Grenzen veröffentlicht Jahresbilanz 2007

Am heutigen Dienstag (02.01.2008) hat die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ ihre Bilanz des vergangenen Jahres vorgelegt. Dem Bericht zufolge sind im vergangenen Jahr weltweit 86 Journalisten und 20 Medienmitarbeiter getötet sowie 887 verhaftet worden, außerdem zählte die Organisation über 1 500 Fälle in denen Journalisten körperlich angegriffen oder bedroht wurden.

Diese Zahlen unterscheiden sich damit kaum von denen des Jahres 2006, damals zählte die Organisation 85 getötete Journalisten und 32 Medienmitarbeiter, 871 Festnahmen und 1 472 tätliche Angriffe bzw. Drohungen.

Am gefährlichsten leben Journalisten dem Bericht zufolge im Irak, wo alleine 47 Journalisten umkamen und der damit weit vor anderen Ländern wie Somalia (8), Pakistan (6) und Sri Lanka (3) liegt. Spitzenreiter hinsichtlich der Festnahmen sind Pakistan (195), Kuba (55) und das islamische Regime im Iran (54) .

Gleichzeitig verzeichnete „Reporter ohne Grenzen“ eine Zunahme der Zensurbemühungen im Internet. So seien allein in China im Vorfeld des 17. Kongress der Kommunistischen Partei 2500 Internetseiten durch staatliche Stellen blockiert worden. Gleichzeitig würde verstärkt gegen unliebsame Internetaktivisten vorgegangen, als jüngstes Beispiel hierfür kann der saudische Blogger Fouah al-Farhan gelten, der laut New York Times seit dem 10. Dezember in Saudi-Arabien inhaftiert ist.