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Debatte ohne Wirklichkeit?

Das Feuilleton ist nicht nur der Ort, an dem die neueste Theatervorstellung, der aktuellste Bestseller und der meistverkaufte Hit besprochen werden. Das Feuilleton ist auch der Ort für Debatten über den Zustand und die Entwicklung der eigenen (oder einer anderen) Kultur. Wie aber entstehen solche Debatten eigentlich?
Ein Beispiel mag eine kürzlich in der Zeit angestoßenen Debatte zur Jugendkultur sein. Jens Jessen, Chef-Feuilletonist der Zeit, beklagte in einem Artikel den angepassten Charakter der heutigen Jugend. Eine Woche später erwiderten Manuel Hartung, Chefredakteur des Zeit-Campus-Magazins und Cosima Schmitt. In ihrem Artikel verteidigten sie die Jugend von heute und diagnostizierten sehr wohl Idealismus, vom Boom der Ökoläden bis zur Vergabe von Mikrokrediten an arme Afrikaner via Internet. Die Debatte wurde weitergeführt von Evelyn Finger, die die rebellische Jugend weniger bei den Uni-Absolventen entdeckte, die im Bioladen einkaufen, sondern eher bei den sozialen Schichten, die sich derlei nicht leisten könnten und ihre Wut vorerst vor allem in Hip-Hop-Texten à la Bushido artikulierten.
 
Interessant an der Debatte ist vor allem die starke Selbstbezüglichkeit des Feuilletons. In keinem der Artikel wird Bezug zur realen Welt genommen. Nie kommen tatsächlich Jugendliche und junge Erwachsene zu Wort. Stattdessen bezieht sich ein Artikel auf den nächsten und alle beziehen sich maximal auf Statistiken (Boom der Ökoläden) und Bushido-Texte. Mindestens drei große Artikel konnte aber alleine die Zeit drucken – so werden die Seiten auch voll! (Damit soll nicht gesagt sein, die Texte seien uninteressant oder langweilig geschrieben – es geht nur um die Frage, wie solche Debatten eigentlich entstehen). Könnte es also sein, dass das Feuilleton hier vor allem für sich selbst schreibt, Debatten initiiert und am Laufen hält? Und könnte es nicht auch sein, dass zahlreiche kulturjournalistische Artikel auf diese Weise entstehen?
 
Wenn dies der Fall ist, bietet sich gerade hier für PR-Arbeiter eine enorme Chance, ihre Anliegen unterzubringen. Denn wenn Debatten schon funktionieren, sobald sie von den Medien selbst angestoßen werden, genügt es ja, diesen Start-Impuls zu setzen. Dies bietet sich nicht nur für politische Debatten an, auch Produkte (z.B. von bestimmten Künstlern) ließen sich bereits vermarkten, wenn dieser Künstler als ein Symbol für eine Entwicklung verstanden wird, die anschließend im Feuilleton durchdiskutiert wird. Das wäre in der Tat eine Beziehung zum beiderseitigen Nutzen: für die Journalisten, die etwas zu schreiben haben, und für die Künstler, die ihre Platten verkaufen können. Nur die Wirklichkeit, die müsste nicht unbedingt Berücksichtigung finden.

Wann ist Feuilleton Feuilleton?

Einen interessanten Beitrag von Klaus Jarchow zum Thema Kulturjournalismus habe ich heute unter dem Titel „Viel Feuilleton, wenig Feuilletonisten“ bei medienlese.com gefunden, aus dem auch die folgenden Zitate stammen.  Darin wird kritisiert, dass vieles von dem, was wir heute in den Feuilletons der Tageszeitungen finden, nicht mehr tief genug in die Materie ‚Kultur‘, in den Sinn eines Feuilletons einsteigt. Die These: „Bloße Kritik macht noch lange kein Feuilleton.“ Verbirgt sich hinter dem Vorwurf, Theaterkritiken, Buchrezensionen, Berichte über die Musikszene etc. seien kein Feuilleton im eigentlichen Sinne, die Ansicht der Frankfurter Schule, die der Populärkultur keinen Kulturstatus einräumen wollte?

Als echter Feuilletonist wird Theodor Lessing (Philosoph und Publizist, 1872-1933) präsentiert. Dessen Auffassung nach war das, was Feuilleton als solches ausmacht: „Kürze, Stoffarmut, Verständlichkeit und das ?Übersetzen von Gedanken in Situationen?“. Weiter neben Lessing werden andere genannt, fast ausnahmslos aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dem beginnenden 20. Jahrhundert, zu Zeiten der Weimarer Republik. Also gibt es heute gar keine Feuilletonisten mehr? Oder haben sie sich eben nur gewandelt?

Für Klaus Jarchow scheint die Antwort klar: „Sagen wir?s also, wie?s ist: Unsere Feuilletons sind trotz ihres irreführenden Namens heute gar keine mehr. Vor allem aus Mangel an Feuilletonisten.“ So heißt es in seinem Beitrag für medienlese.com. Aber meine Frage wäre: Kann man die Blütezeit des Kulturjournalismus während der Weimarer Republik überhaupt als Ideal annehmen und alles daran messen? Muss man nicht vielmehr noch weiter zurückgehen, um die Entwicklung des Feuilletons in der Geschichte seit den Vorläufern des Kulturjournalismus zu verstehen? Und müsste man dann nicht auch die Begriffsgeschichte des Wortes selbst mit einbinden, wenn man fragt: Wann ist Feuilleton Feuilleton?