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Dokumentation „The Thread“ – Eine Online-Community auf der Jagd nach den Attentätern des Boston Marathon

Als am 15. April 2013 auf der Zielgeraden des Boston-Marathons zwei Sprengsätze explodierten, kamen dabei drei Menschen ums Leben und 264 weitere wurden verletzt.

Is this the Boston Bomber?Die Dokumentation von Greg Barker („Manhunt“) rekonstruiert die Suche nach den Attentätern des Boston Marathon innerhalb der Online-Plattform „Reddit“ und thematisiert dabei auch den Konflikt zwischen traditionellen und neuen Medien. Stellt „Crowdsourcing“ eine Gefahr für den investigativen Journalismus dar?

Das Interesse an diesem Event war groß. Neben zahlreichen Reportern, die live berichteten, fotografierten und filmten vor allem tausende Zuschauer und Teilnehmer mit ihren Smartphones das Geschehen rund um den Boston Marathon. Damit gehört das Attentat zu den, am besten dokumentierten Terroranschlägen unserer Zeit.

Die Suche nach den Bombenlegern hielt die gesamten USA in Atem und entfachte natürlich einen erbitterten Kampf der Medien um die Nachrichtenhoheit. Ob Kabelsender, Online-Dienste oder Networks- alle versuchten sich als beste Informationsquelle zu profilieren. Überraschenderweise sorgte vor allem die Social-News-Plattform „Reddit“ für Furore. Deren Community teilte direkt nach dem Attentat zahlreiche Bild-und Videoaufnahmen miteinander und kommunizierte in unzähligen „Subreddits“ (Unterforen) über das Ereignis.

Reddit AnalyseIm Thread „FindBostonBombers“ kam es in den darauffolgenden Tagen zu einer perfiden Suche nach den möglichen Attentätern. Bild- und Videomaterial wurde gesichtet, analysiert und diskutiert. Wilde Spekulationen und Anschuldigungen führten schlussendlich dazu, dass mehrere Unschuldige in den Fokus der Medien und der Polizei gerieten.

Am 19. April 2013 schaffte es die Polizei schlussendlich die offiziellen Täter Tamerlan und Dschochar Zarnajew zu stellen. Im heftigen Schusswechsel wurde  Tamerlan Z. dabei tödlich verwundet. Sein Bruder Dschochar Z. konnte flüchten, wurde aber noch am selben Tag von einem Sondereinsatzkommando festgenommen. Die Amateuraufnahmen seiner spektakulären Verhaftung, die mitten in der Gemeinde Watertown, vor den Augen zahlreicher Anwohner stattfand, verbreiteten sich ebenfalls rasant in den sozialen Medien. –>DRAMATIC VIDEO: Intense Gunfight Between Police and Bombing Suspect

„The Thread“ zeigt, wie sich die Medienlandschaft durch Fortschritte in der Technologie und der weit verbreiteten Nutzung von Social Media verwandelt hat. Berichte aus erster Hand und Nachrichten mit einer beispiellosen Geschwindigkeit zu sammeln und zu publizieren ist schon lange nicht mehr, ein Privileg das nur professionellen Journalisten zuteilwird. Die klassischen Rollen des Produzenten und des Konsumenten verschwimmen immer mehr. Wie der Fall „Reddit“ und sein „FindBostonBombers“-Thread zeigt, ist die Eigendynamik solcher Dialoge im Web 2.0 kaum zu steuern. Durch die schneeballartige Verbreitung in Communities und dem Verlinken in Foren oder Blogs wird die Verbreitung von Gerüchten im Netz erleichtert. Weblogs dienen dem Meinungsaustausch und verhelfen durch die Anonymität des Internets zu einer neuen Qualität des Gerüchtestreuens. Aufgrund der Tatsache, dass jeder User zugleich Rezipient und Autor sein kann und Aussagen sowohl wahr als auch falsch sein können, kann der Inhalt ungeprüft auf Relevanz und Wahrhaftigkeit im Netz veröffentlicht werden.

Die 60-minütige Dokumentation glänzt besonders durch die zahlreichen Interviews mit Journalisten und Bossen der globalen Mediengiganten, wie auch den Social Media-Nutzern, die sich auf die Jagd nach den Boston-Marathon-Bombern gemacht haben.

Die Dokumentation ist u.A. auf Netflix & iTunes verfügbar.


Quellen:

„The Thread“, Courtesy of Greg Barker and Content Television

http://insider.foxnews.com/2013/04/20/dramatic-video-neighbor-captures-intense-police-gunfight-bombing-suspect-dzhokhar

http://www.dailymail.co.uk/news/article-3035378/It-beast-Moderator-Reddit-s-Boston-Bombers-thread-tells-millions-users-descended-subreddit-days-attack-identified-wrong-suspect.html

C’est l’encre qui doit couler, pas le sang.

Maskierte Männer, verwackelte Bilder, dann Schüsse.

Solidarische Karikaturen aus der ganzen Welt

Seit gestern Morgen macht ein grausiges Video die Runde: Von einem Privatgerät aus gefilmt, zeigt es die regelrechte Hinrichtung eines Polizisten auf offener Straße in Paris. Wer die Nachrichten mitverfolgt hat, weiß um was es geht. Gegen 11.30 Uhr am Mittwoch riss ein schreckliches Ereignis die französische Hauptstadt aus dem alltäglichen „traintrain“: Drei Unbekannte stürmten das Redaktionsgebäude der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und eröffneten das Feuer auf die Mitarbeiter. Einige der potenziellen Opfer fanden auf dem Dach des Pariser Gebäudes Schutz, doch für Direktor Stéphane Charbonnier und weitere elf Menschen war jegliche Flucht unmöglich. Der Zeichner, bekannt unter dem Namen „Charb“, sowie weitere Künstler und Polizisten fielen den Kalaschnikows der Täter zum Opfer und überlebten das fünf-minütige Blutbad nicht.

Es war die blutigste Attacke seit dem Zugattentat im Jahr 1961, die Frankreich gestern zerüttete. Die Bilder, die per Handy von Augenzeugen aus dem elften Arrondissement im Zentrum der Stadt aufgenommen wurden, erinnern nicht zu Unrecht an die Hinrichtungsvideos der Terrororganisation IS: Immer wieder erklingen Ausrufe wie „On a vengé le prophète!“ („Wir haben den Propheten gerächt!“) und „Allah Akbar“ („Allah ist der Größte“) seitens der Schützen. Viele Experten sind sich sicher: Es muss einen islamistischen Hintergrund für diese genauestens geplante Attacke gegeben haben. Nicht zum ersten Mal hatte das linksgerichtete Magazin den Zorn von Muslimen und Gläubigen auf sich gezogen: Immer wieder hatte die Redaktion des „Charlie Hebdo“ islamkritische Artikel und Karikaturen veröffentlicht, am Tag des Attentats selbst zierte eine Zeichnung zum thematisch passenden Roman von Skandalautor Michel Houellebecq das Cover der Zeitschrift. Makaber: Als hätte der Verfasser es geahnt, so steht auf Seite 7 des Heftes auf die Frage nach ausgebliebenen Attentaten in Frankreich die islamistische Antwort „Warten Sie es ab! Wir haben ja bis Ende Januar, um die Feiertagsgrüße zu überbringen“. Es sollte wohl früher schon zur Bestätigung dieser Aussage kommen…

Bereits seit 1969 reizt das Magazin mit dem Untertitel „Journal irresponsable“, also verantwortungslose bzw. unverpflichtete Zeitung, Vertreter jeglichen Standpunktes: Egal ob Politiker, Rechtsradikale oder eben Muslime, niemand blieb bisher vom Spott verschont. Höhepunkt der Provokation waren aber sicherlich die weltweit bekannt gewordenen Mohammed-Karikaturen, welche die Seiten der Zeitschrift mit Sprüchen wie „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden“ zierten. Zur Folge hatten diese nicht nur Morddrohungen an die einzelnen Redakteure, sondern ebenfalls eine Brandattacke auf das damalige „Charlie Hebdo“-Gebäude im November 2011.

Die Annahme, dass der Angriff eine Reaktion auf die satirischen Darstellungen des Magazins war, bestätigen wohl am besten die schockierenden Szenen in den aufgenommenen Videos. Vermutlich seien die Täter Rückkehrer aus den Syrien- und Irak-Kämpfen, so Experten, denn ihr geschulter Umgang mit den Schusswaffen zeuge von Erfahrung mit Militär- oder Guerillaoperationen. Es gibt jedoch auch jene, die alternative Theorien im Netz vertreten: So unter anderem die für ihre politisch-kritischen Aussagen bekannte Aktivistengruppe Anonymous, welche die Gräueltat online als eine angezettelte „False-Flag-Operation“ bezeichnet, mit dem Hintergedanken Europa innenpolitisch zu destabilisieren. Wer die Auftraggeber sind und welchem Ziel diese Attacke dienen soll, wird sich hoffentlich bald herauskristalisieren. Momentan läuft die Suche nach den  Schuldigen auf Hochturen, neben über 3000 Polizisten fahndet ebenfalls die Anti-Terror Spezialeinheit Raid nach den flüchtigen Verdächtigen Cherif und Said Kouachi. Neben den beiden Brüdern, welche durch einen im Fluchtwagen gefundenen Personalausweis identifiziert werden konnten, soll ebenfalls der 18-jährige Hamid M. an dem Verbrechen beteiligt gewesen sein. Dieser hielt sich  zur Tatzeit jedoch in seiner Schule auf und stellte sich nach mehrfacher namentlicher Erwähnung in sozialen Netzwerken der Polizei.

Auch wenn vieles an den Geschehnissen des 7. Januars zwielichtig erscheint, eine Sache müsse jedoch verdeutlicht werden, so die Rede von Präsident François Hollande am Ort des Verbrechens:

„Une attaque contre un journal, c’est une attaque contre la liberté d’expression. (…) Nous devons réagir avec fermeté, mais avec le souci de l’unité nationale (…). Nous sommes dans un moment difficile (…), nous savions que nous étions menacés, car nous sommes un pays de liberté.“

Kurz: Ein Angriff auf eine Zeitung sei einem Angriff auf die Redefreiheit gleichzusetzen und diese Tat werde nicht unbestraft bleiben. Frankreich sei ein freies Land, das besonders in solchen Krisenzeiten auf Zusammenhalt setzen müsse, so Hollande. Als Maßnahme wurde die Terror-Alarmstufe („plan vigipirate“) heraufgesetzt und weitere französische Medien, unter anderem die Redaktion der France 2, unter Polizeischutz gestellt.

Nicht nur internationale Politiker drückten den Opfern und Betroffenen ihr Mitgefühl aus, auch im Internet verbreitet sich die Empathie-Welle rasant: Soziale Netzwerke wie Instagram und Tumblr werden seit gestern dominiert von Posts mit den Schlagwörtern #JeSuisCharlie und #CharlieHebdo, und auch bei Facebook zeigen die Menschen ihre Anteilnahme durch Sharen und Posten von „Je suis Charlie“ Beiträgen und Bildern. Besonders Aufgerüttete drücken ihre Unterstützung der Rede- und Pressefreiheit durch Veröffentlichen von den im Magazin gedruckten Mohammed-Karikaturen aus und sammeln sich am heutigen Gedenktag in vielen europäischen Städten. Was der satirischen Presse wohl einen zerschmetternden Schlag versetzen sollte, ermutigt nun Journalisten, Künstler und Laien weltweit genau zum Gegenteil: Die Ausrufe nach dem Recht sich frei auszudrücken, auch in Medien, erhallen trotz allgemeiner Angst vor ähnlichen Anschlägen rund um den Globus und verstärken den Respekt vor jenen, die sich getraut haben, die kritischen Worte ebenfalls öffentlich zu machen.

„Ils voulaient mettre la France à genoux, ils l’ont mise debout!“, so die Devise eines Frankreichs, das jetzt in diesen traurigen Tagen mehr denn je  als vereinte Nation aufsteht und sich dieser Form von Unterdrückung widersetzen will.

"Je suis Charlie"
„Je suis Charlie“: Fassungslosigkeit am Gedenktag in Paris

 

Quellen:

http://www.rtl.lu/international/597084.html

http://www.spiegel.de/

https://www.facebook.com/Anonymous.Kollektiv/posts/835560656490396:0

http://www.charliehebdo.fr/index.html

http://www.zeit.de/kultur/2015-01/charlie-hebdo-charb-geschichte