Der 4. Juli 2012 versetzte die Welt der modernen Physik in einen Aufruhr, der weit über die Grenzen der Wissenschaft hinaushallte. Am CERN, dem Europäischen Institut für Kernforschung in der Schweiz wurde ein neues Elementarteilchen mit der Masse 125,3 Elektronenvolt (ca. 10^-25 kg) entdeckt. Diese Meldung dürfte für Nicht-Physiker zunächst mal recht unspäktakulär sein, schließlich wird doch ständig irgendwo irgendwas entdeckt. Allerdings stellte sich bald heraus, dass es sich bei dem gefundenen Teilchen höchst wahrscheinlich um das berühmte Higgs-Boson handelte. Dieses Higgs-Boson, benannt nach seinem Quasi-Entdecker Peter Higgs zeichnete sich bislang vor allem dadurch aus, dass es noch nicht gefunden wurde. Seine Existenz war theoretisch nachgewiesen, einzig der tatsächliche physische Beweis fehlte als letzter Baustein zur Verifizierung der derzeit als gültig betrachteten physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Gut 40 Jahre lang mühten sich Physiker in aller Welt nun das Higgs-Boson nachzuweisen, was lange Zeit als nicht gerade aussichtsreiches Unterfangen galt. 1993 wollte nun der Physiker Leon Ledermann ein Buch über das Higgs-Boson veröffentlichen, unter dem schönen Titel „The Goddamn Particle“, was sich auf die frustrierenden Versuche beziehen sollte, das Higgs-Boson aufzuspüren. Leider war dieser Titel dem Verlag ein bisschen zu offensiv, weshalb man „damn“ kurzerhand aus dem Titel strich. Übrig blieb „The God Particle“ und dies ist für eine Entdeckung wie die Gestrige ein Schlagwort wie es sich die Vertreter der publizistischen Medien nicht schöner hätten ausdenken könnten.
Darum wimmelte es gestern in sämtlichen Zeitungen, Onlineblogs, Nachrichtensendungen usw. vom „Gottesteilchen“. An vorderster Front (im deutschsprachigen Raum) wie üblich die Bild, die mit „Gottesteilchen“ um sich feuert als hätte sie einen Werbevertrag für diesen Modeausdruck, doch auch Blätter wie der Spiegel, die FAZ, der Stern, die Welt und viele andere geizten nicht mit dem Gottesvergleich. Dies mag auf den ersten Blick verständlich sein, denn wahrscheinlich kann der Durchschnittsleser alleine mit dem Titel „Higgs-Boson“, geschweige denn mit den genannten Massezahlen nicht gerade viel anfangen. Um eine wichtige Nachricht zu verbreiten braucht man eben einen zumindest wichtig-klingenden Titel, und da kommt „The God Particle“ gerade recht. Entschließt sich der geneigte Leser dann jedoch einen näheren Blick auf die jeweiligen Artikel zu werfen, bleibt der Gottesbezug meist auf der Strecke. Die Erklärungsversuche für diese Titulierung beschränken sich entweder auf „weil das Teilchen so wichtig ist“ oder auf die noch spartanischere Variante „weil es eben so genannt wird“. Bloß von wem? Von den Physikern in CERN? Tatsächlich sind es nur die Medien selbst, die diese Bezeichnung benutzen und etabliert haben. Ob man sich daran nicht erinnern kann oder es lieber garnicht will sei einfach mal dahingestellt. Was bleibt ist eine bewusste Irreführung der Leser zugunsten der Prägnanz, denn mit Gott hat das Higgs-Boson herzlich wenig zu tun.
Bild.de:“ Gottesteilchen entdeckt!“ http://www.bild.de/news/ausland/cern/gottesteilchen-entdeckt-25001752.bild.html (Abruf am 05.07.2012)
Freistetter, Florian: „Liebe Medien: Das Higgs-Boson ist kein „Gottesteilchen“!“ http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/07/liebe-medien-das-higgs-boson-ist-kein-gottesteilchen.php (Abruf am 05.07.2012)
Spiegel Online: „Physiker feiern Durchbruch bei der Gottesteilchen-Suche“ http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/higgs-boson-cern-gibt-entdeckung-von-teilchen-am-lhc-bekannt-a-842478.html (Abruf am 05.07.2012)
Sueddeutsche.de: “ „Danke, Natur“ “ http://www.sueddeutsche.de/wissen/higgs-teilchen-entdeckt-danke-natur-1.1401966 (Abruf am 05.07.2012)
Faz.net: „Gottes-Teilchen: Higgs-Boson entdeckt?“http://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-chemie/gottes-teilchen-higgs-boson-entdeckt-11807864.html (Abruf am 05.07.2012)
Stern.de: „Jubel bei der „Gottesteilchen“-Suche“ http://www.stern.de/wissen/kosmos/hinweis-auf-higgs-boson-jubel-bei-der-gottesteilchen-suche-1851063.html (Abruf am 05.07.2012)