Alle Beiträge von Tobias Sauer

Debatte ohne Wirklichkeit?

Das Feuilleton ist nicht nur der Ort, an dem die neueste Theatervorstellung, der aktuellste Bestseller und der meistverkaufte Hit besprochen werden. Das Feuilleton ist auch der Ort für Debatten über den Zustand und die Entwicklung der eigenen (oder einer anderen) Kultur. Wie aber entstehen solche Debatten eigentlich?
Ein Beispiel mag eine kürzlich in der Zeit angestoßenen Debatte zur Jugendkultur sein. Jens Jessen, Chef-Feuilletonist der Zeit, beklagte in einem Artikel den angepassten Charakter der heutigen Jugend. Eine Woche später erwiderten Manuel Hartung, Chefredakteur des Zeit-Campus-Magazins und Cosima Schmitt. In ihrem Artikel verteidigten sie die Jugend von heute und diagnostizierten sehr wohl Idealismus, vom Boom der Ökoläden bis zur Vergabe von Mikrokrediten an arme Afrikaner via Internet. Die Debatte wurde weitergeführt von Evelyn Finger, die die rebellische Jugend weniger bei den Uni-Absolventen entdeckte, die im Bioladen einkaufen, sondern eher bei den sozialen Schichten, die sich derlei nicht leisten könnten und ihre Wut vorerst vor allem in Hip-Hop-Texten à la Bushido artikulierten.
 
Interessant an der Debatte ist vor allem die starke Selbstbezüglichkeit des Feuilletons. In keinem der Artikel wird Bezug zur realen Welt genommen. Nie kommen tatsächlich Jugendliche und junge Erwachsene zu Wort. Stattdessen bezieht sich ein Artikel auf den nächsten und alle beziehen sich maximal auf Statistiken (Boom der Ökoläden) und Bushido-Texte. Mindestens drei große Artikel konnte aber alleine die Zeit drucken – so werden die Seiten auch voll! (Damit soll nicht gesagt sein, die Texte seien uninteressant oder langweilig geschrieben – es geht nur um die Frage, wie solche Debatten eigentlich entstehen). Könnte es also sein, dass das Feuilleton hier vor allem für sich selbst schreibt, Debatten initiiert und am Laufen hält? Und könnte es nicht auch sein, dass zahlreiche kulturjournalistische Artikel auf diese Weise entstehen?
 
Wenn dies der Fall ist, bietet sich gerade hier für PR-Arbeiter eine enorme Chance, ihre Anliegen unterzubringen. Denn wenn Debatten schon funktionieren, sobald sie von den Medien selbst angestoßen werden, genügt es ja, diesen Start-Impuls zu setzen. Dies bietet sich nicht nur für politische Debatten an, auch Produkte (z.B. von bestimmten Künstlern) ließen sich bereits vermarkten, wenn dieser Künstler als ein Symbol für eine Entwicklung verstanden wird, die anschließend im Feuilleton durchdiskutiert wird. Das wäre in der Tat eine Beziehung zum beiderseitigen Nutzen: für die Journalisten, die etwas zu schreiben haben, und für die Künstler, die ihre Platten verkaufen können. Nur die Wirklichkeit, die müsste nicht unbedingt Berücksichtigung finden.

Obama überall

Es ist Wahlkampf in den USA. Im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit offenbaren die Kandidaten dabei alles, was noch ein paar positive Artikel zusätzlich bringt ? zum Beispiel der Musikgeschmack. Barack Obama präsentierte deshalb dem Rolling Stone Magazine seine aktuelle Playlist. Der Kandidat steht also auf Stevie Wonder und Bob Dylan und Rapper Jay-Z, ein paar Gangster-Rapper dürfen nicht fehlen, auch wenn sich Obama bei deren Liedern ?bekümmert? ob der Frauenfeindlichkeit und Gewalt zeigt. Nun ja, man darf getrost davon ausgehen, dass es sich hier um Wahlkampf handelt und kein Musiker und kein Song zufällig ausgewählt wurden.

Interessant ist aber die Medienberichterstattung darüber: In welches Ressort ordnet man das Thema ein? Politik, weil es sich um den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten handelt? Oder Kultur, weil es eben in erster Linie um Musik geht? Für beide Seiten sprechen gute Argumente, sicherlich kann man im eigentlichen Artikel auch noch einen eigenen Schwerpunkt setzen. Was aber auffällt (und diese Diskussion hatten wir zum Thema ?68er? ja auch schon im Seminar kurz angeschnitten), ist die Schwammigkeit des Ressorts Kultur. Letztlich bietet es Platz für eine extrem breite Palette an Themen ? Politische Kultur, Kulturbewegungen, Wirtschaftskultur, Alltagsreportagen, Kritiken des letzten Wiener Opernballs. Gerade dies macht das Ressort für mich so interessant ? hier findet sich Platz für Reportagen und Berichte, die in anderen Ressorts schwer zu platzieren sind und die dennoch oder gerade deshalb interessante Einblicke geben können. Entscheidend ist dabei, dass ein möglichst weiter Kulturbegriff verwendet wird. Die Berichterstattung darf sich eben nicht nur auf Karajan und das Avantgarde-Kino konzentrieren, sondern muss auch Phänomene aufnehmen können, die mit der klassischen ?Hochkultur? (im Gegensatz zur ?Populärkultur?) nicht ohne weiteres zu vereinbaren sind. Die ?Welt? hat sich jedenfalls entschieden und bringt die Geschichte von Obama und dessen iPod im Ressort Kultur. Gute Wahl!

Kritiken im Netz: Amateurjournalismus oder Schund?

Während in der Vor-Internet-Zeit kritische Besprechungen von Büchern, Filmen oder Musik fast ausschließlich von Journalisten in den klassischen Printmedien, Radio und TV verbreitet werden konnten, können Kritiken heute einfach im Internet verbreitet werden ? entweder auf privaten Homepages und Blogs, oder direkt bei großen Onlinehändlern direkt neben (oder unter) dem besprochenen Werk.

Klar, viele dieser Kritiken erfüllen ihren Zweck maximal leidlich. Aber möglicherweise findet sich bei genauerem Hinschauen auch die eine oder andere qualitativ anspruchsvolle Besprechung darunter. In jedem Fall scheinen Kritiken eine überaus beliebte Form der Partizipation im Internet zu sein, sowohl was den produzierenden Teil der User angeht (man braucht sich nur die enormen Mengen an Beiträgen bei den einschlägigen Online-Shops anschauen), als auch was den nur lesenden Teil der Nutzer betrifft ? Kunden überfliegen wohl so gut wie immer die vorhandenden Erfahrungsberichte.

Gerade bei den anspruchsvollen Beiträgen kommt bei mir die Frage auf, ob es sich hierbei schon um eine Form des Journalismus handeln könnte. Denn wo liegt eigentlich die Grenze zwischen Amateur und Profi bei diesem kulturjournalistischen Kerngeschäft? Nur am Renommee des Veröffentlichungsorgans kann es ja wohl nicht hängen, oder etwa doch? Und was sind eigentlich die Kernanforderungen an einen guten Kritiker ? im Gegensatz zu einem amateurhaften ?Leseerfahrungsbericht??

Ich bin mir unsicher, wo so eine Abgrenzung gezogen werden könnte, wahrscheinlich ist eine 100%ige Trennung auch gar nicht möglich. Wenn das so ist, könnten die besseren Kunden?rezensionen? aber durchaus journalistische Kriterien erfüllen.