4chan.org – nicht allen ein Begriff. Das Imageboard, das Internetphänomene wie „lolcats“, „Rick-Rolling“ und „Chocolate Rain“ hervorgerufen oder bekannt gemacht hat, ist kein friedlicher Ort, wie man es bei Betracht der süßen Katzenbilder mit witzigen Bildbeschriftungen, die sie bekannt machten, annehmen würde. Wer die Seite besucht, findet sich schnell in einer Spirale fluchender, pseudo-intellektueller, unmoralischer und soziopathischer Themen und Beiträge.
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hat man 4chan, die Seite mit prinzipiell Experten für alles, anonyme Nutzer die sich gegenseitig helfen, Aktivisten die sich für Freiheit und Anonymität im Internet einsetzen, Hacker die ihr Wissen zum Guten einsetzen (grob ausgedrückt). Auf der anderen Seite steht 4chan, allen voran /b/, das „Random-Board“ des Forums, voll rassistischer, sexistischer, homophobischer, pornografischer und antisemitischer Beiträge, Minderjährige, Hacker die ihr Wissen zum Schlechten einsetzen (grob ausgedrückt), kaum Kontrollinstanzen, unter Umständen kinderpornografische Inhalte (aufgrund vorigen Punkts) und eine recht umfangreiche Tauschbörse für urheberrechtlich geschütztes Material.
Dass 4chan trotzdem hochgelobt wird, vor allem bei seinen eigenen Nutzern, liegt vor allem an seiner Vergangenheit und seinem Mobilisierungspotential. 4chan ist Ursprung der Anonymous-Kultur, die im Kampf für ein „freies Internet“ immer noch für Schlagzeilen sorgt, es ist der Ursprung von Project Chanology, dessen offene Mitgliederschaft „Scientology“ und seinen Lehren den Kampf angesagt hat, es ist der Ursprung von (persönlich) geschätzt 75% der Dinge, die uns im Internet zum Lachen gebracht haben, machte bereits vor den jüngsten Hacker-Angriffen Schlagzeilen im Wall Street Journal und der Times. Ihr Gründer, Christopher „moot“ Poole, ist der Mark Zuckerberg der „urbanen“ Internetkultur, auch wenn ihm der Vergleich wohl eher widerstrebt, da er die Verbindung von virtueller und realer Identität grundsätzlich opponiert¹.
Und dennoch, in Anbetracht der Tatsache, dass 4chan eine Kultur hervorgebracht hat, deren Eigenschaften, ihr Humor, ihr Weltverständnis, ihre Organisation, der nicht-virtuellen Gesellschaft vollkommen widerstrebt, ist Grund zur Frage wie so ein Portal so lange überleben konnte. Christopher Poole selbst meinte die Seite hätte kein Gedächtnis, die Halbzeitdauer eines Beitrags, eines dort hochgeladenen Bildest beträgt durchschnittlich vielleicht grade mal eine Stunde, dann wird er gelöscht. Dies macht jeden Diskurs über die Seite gradezu unmöglich, da jegliche Argumentationsgrundlagen extrem flüchtig und anschließend nicht mehr nachvollziehbar ist. Doch ist es das was die Seite so lange hat im Hintergrund bleiben lassen, trotz ihres Werts für die Internet Popkultur? Wird sie im Hintergrund bleiben? Über die letzten Jahre ist sie immer mehr zur Anlaufstelle kommunikationsfreudiger Teenager geworden, in 4chan-Terminologie auch bekannt als „the cancer that is killing /b/“, da unter dem Andrang die Aktivitäten, die Produktivität des Portals stark stagnierte, wie es die „4chan-Elite“ (eher bekannt als „oldfa*s“) ausdrücken würde.
Trotz alledem gibt es keinen öffentlichen Diskurs zu 4chan (oder ähnlichen Imageboards, die es durchaus gibt). Warum?
¹ http://www.technologyreview.com/web/25997/ (am 06.07.11, 15:38)