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Internet-Anarchismus

4chan.org – nicht allen ein Begriff. Das Imageboard, das Internetphänomene wie „lolcats“, „Rick-Rolling“ und „Chocolate Rain“ hervorgerufen oder bekannt gemacht hat, ist kein friedlicher Ort, wie man es bei Betracht der süßen Katzenbilder mit witzigen Bildbeschriftungen, die sie bekannt machten, annehmen würde. Wer die Seite besucht, findet sich schnell in einer Spirale fluchender, pseudo-intellektueller, unmoralischer und soziopathischer Themen und Beiträge.

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hat man 4chan, die Seite mit prinzipiell Experten für alles, anonyme Nutzer die sich gegenseitig helfen, Aktivisten die sich für Freiheit und Anonymität im Internet einsetzen, Hacker die ihr Wissen zum Guten einsetzen (grob ausgedrückt). Auf der anderen Seite steht 4chan, allen voran /b/, das „Random-Board“ des Forums, voll rassistischer, sexistischer, homophobischer, pornografischer und antisemitischer Beiträge, Minderjährige, Hacker die ihr Wissen zum Schlechten einsetzen (grob ausgedrückt), kaum Kontrollinstanzen, unter Umständen kinderpornografische Inhalte (aufgrund vorigen Punkts) und eine recht umfangreiche Tauschbörse für urheberrechtlich geschütztes Material.

Dass 4chan trotzdem hochgelobt wird, vor allem bei seinen eigenen Nutzern, liegt vor allem an seiner Vergangenheit und seinem Mobilisierungspotential. 4chan ist Ursprung der Anonymous-Kultur, die im Kampf für ein „freies Internet“ immer noch für Schlagzeilen sorgt, es ist der Ursprung von Project Chanology, dessen offene Mitgliederschaft „Scientology“ und seinen Lehren den Kampf angesagt hat, es ist der Ursprung von (persönlich) geschätzt 75% der Dinge, die uns im Internet zum Lachen gebracht haben, machte bereits vor den jüngsten Hacker-Angriffen Schlagzeilen im Wall Street Journal und der Times. Ihr Gründer, Christopher „moot“ Poole, ist der Mark Zuckerberg der „urbanen“ Internetkultur, auch wenn ihm der Vergleich wohl eher widerstrebt, da er die Verbindung von virtueller und realer Identität grundsätzlich opponiert¹.

Und dennoch, in Anbetracht der Tatsache, dass 4chan eine Kultur hervorgebracht hat, deren Eigenschaften, ihr Humor, ihr Weltverständnis, ihre Organisation, der nicht-virtuellen Gesellschaft vollkommen widerstrebt, ist Grund zur Frage wie so ein Portal so lange überleben konnte. Christopher Poole selbst meinte die Seite hätte kein Gedächtnis, die Halbzeitdauer eines Beitrags, eines dort hochgeladenen Bildest beträgt durchschnittlich vielleicht grade mal eine Stunde, dann wird er gelöscht. Dies macht jeden Diskurs über die Seite gradezu unmöglich, da jegliche Argumentationsgrundlagen extrem flüchtig und anschließend nicht mehr nachvollziehbar ist. Doch ist es das was die Seite so lange hat im Hintergrund bleiben lassen, trotz ihres Werts für die Internet Popkultur? Wird sie im Hintergrund bleiben? Über die letzten Jahre ist sie immer mehr zur Anlaufstelle kommunikationsfreudiger Teenager geworden, in 4chan-Terminologie auch bekannt als „the cancer that is killing /b/“, da unter dem Andrang die Aktivitäten, die Produktivität des Portals stark stagnierte, wie es die „4chan-Elite“ (eher bekannt als „oldfa*s“) ausdrücken würde.

Trotz alledem gibt es keinen öffentlichen Diskurs zu 4chan (oder ähnlichen Imageboards, die es durchaus gibt). Warum?

 

 

 

¹ http://www.technologyreview.com/web/25997/ (am 06.07.11, 15:38)

Im Zweifel für den Angeklagten

Nach knapp neun Monaten (Haupt-)Verhandlung wurde nun vom Landgericht Mannheim ein Urteil gefällt: Im Indizienprozess wurden den Forderungen der Verteidigung stattgegeben und Jörg Kachelmann wurde freigesprochen.

 

Monatelang hatte in dem Prozess Aussage gegen Aussage gestanden, wurden die ohnehin schon emotional sehr aufgeladenen Verhandlungen von den Medien aufgebauscht. „BILD“ und „Bunte“ hatten lange kampagnenartig gegen Kachelmann mobilisiert, „ZEIT“ und „Spiegel“ stellten die Gegenseite auf und sollten Recht behalten. Dass das alte Frauenbewegungs-Idol Alice Schwarzer (berichtete für „BILD“ vom Kachelmann-Prozess) trotz Urteilspruch anscheinend immer noch von der Schuld Kachelmanns, oder eher von der Wahrheit der Aussagen der Klägerin, überzeugt ist, zeigt wie polarisierend der Fall noch über den Schluss hinaus ist.

 

Ob der Fall, also auch für die Medien, weitergeht, bleibt abzuwarten. Die Staatsanwaltschaft will eine mögliche Revision prüfen lassen. Schließlich hat die Justiz auch klarwerden lassen, dass sie nicht von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist und der Freispruch nur aus „Zweifel an seiner Schuld“ begründet ist.

 

Quellen (am 31.05.11):

http://www.focus.de/panorama/welt/kachelmann-prozess-ein-urteil-drei-verlierer_aid_632775.html

http://www.focus.de/panorama/welt/vergewaltigungsprozess-gericht-spricht-kachelmann-frei_aid_632678.html

http://www.stern.de/panorama/kachelmann-urteil-sekt-traenen-und-ein-freispruch-1690842.html

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,765888,00.html

http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article13405099/Der-Freispruch-fuer-Joerg-Kachelmann.html

Sony’s Berg- und Talfahrt

Für Sony sieht es schlecht aus. Nachdem am 21. April Sony’s Playstation Network ausfiel und wochenlang für verzweifelte „Gamer“ und Nutzer des vielseitigen Unterhaltungssystems unerreichbar blieb, äußerte sich Sony erst am 27. April konkret zu den Ereignissen –  nachdem die Internetforen frustierter Kunden immer lauter wurden. Im letzten Augenblick versucht Sony die aufgebrachten Nutzer mit der Herausgabe von Informationen zu beschwichtigen, doch erste Klagen wurden bereits vorgebracht.

Trotz zunehmender Zahlen sich beschwerender Nutzer, Thematisierung des „Skandals“ auch außerhalb der Gamer-Szene und Schadensersatzforderungen von Entwicklerstudios und Vetriebsfirmen, die auf das PSN gesetzt hatten und nun fürchte(te)n Einnahmen einzubüßen, blieb Sony überraschanderweise an der ohnehin schon angeschlagenen japanischen Börse stabil und schien die Lage, und mit ihnen die Hacker-Angriffe, in den Griff zu kriegen.

Schließlich konnte Sony Entwarnung für den Verlust von Kundeninformationen wie Kreditkartennummern und Adressen geben (die verlorenen Daten seien wohl ausreichend verschlüsselt gewesen) und kündigte an das PSN am 3. Mai zusammen mit einer kleinen Entschädigung für ihre Kunden wieder zur Verfügung zu stellen.

Die Entwarnung kam anscheinend doch zu früh: Am 3. Mai europäischer Zeit veröffentlichte der Kundenservice von Sony Online Entertainment, Sony’s Online-Spiele Betreiber, eine Meldung bezüglich dem eigenen Datenschutz. Im Zuge der Aufregung um Sony’s PSN war es Hackern wohl gelungen Kundendaten von über 25 Millionen Nutzern zu stehlen, darunter alte Kreditkarteninformationen (nicht unbedingt weniger wichtige) einer Datenbank deutscher, österreichischer, spanischer und niederländischer Kunden von 2007. Sony sah sich gezwungen den kompletten Dienst vom Netz zu nehmen und wieder einmal zu beschwichtigen. Die Folgen für das PSN und die Einnahmen durch online-basierte Spieletitel bleiben abzuwarten.

 

Interessant wäre sicherlich die Beobachtung der weiteren Entwicklung dieser Themenkarriere. Nachdem sich die ersten Meldungen auf Foren und Internetseiten der Gamerszene beschränkten, ist die Berichterstattung inzwischen bei bekannteren Medien angekommen. Nicht ganz unschuldig daran dürfte das globale Ausmaß des Skandals und das Interesse von Datenschützern an dem Thema sein. Außerdem, was für Folgen hätte es für die Einnahmen von Sony sollte sich das Thema weiter ausbreiten? Zwar wissen zwangsweise alle an Sony’s Einnahmen beteiligten Kunden bereits Bescheid, doch was passiert wenn zahlende Eltern davon erfahren oder ein öffentlicher Diskurs dazu entsteht?

 

Quellen (vom 03.05.11; 16:40):

http://www.aktiencheck.de/853687-Sony-Aktie-Profil

http://www.eurogamer.de/articles/2011-05-02-ubersicht-millionenfacher-datendiebstahl-im-playstation-network

http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE7420CR20110503

http://faq.en.playstation.com/cgi-bin/scee_gb.cfg/php/enduser/std_adp.php?locale=en_GB&p_faqid=5593

http://www.soe.com/securityupdate/

http://www.itespresso.de/2011/05/03/weitere-kundendaten-bei-sony-geklaut/

http://blog.eu.playstation.com/2011/04/28/playstation-network-and-qriocity-outage-faq/

BBC Sound of 2011

Es ist mal wieder soweit, Anfang Januar: die BBC gibt die Top 5 der „BBC Sound of…“ Umfrage unter (diesmal) 161 britischen Meinungsbildern der Musikszene, wie Redakteuren, Kritikern, Radio- sowie Fernsehproduzenten und etablierten Bloggern, bekannt. Seit 2003 kürt die BBC anhand der Ergebnisse der Umfrage die vielversprechendsten Newcomer-Acts für das beginnende Jahr – 2003 war das 50 Cent, 2010 Ellie Goulding (#1), Marina & the Diamonds (#2) und Hurts (#4), die alle mit mindestens einem Song in dem Jahr dann auch wirklich von sich reden machten.

„Interessant“, könnte man meinen, vergleicht man die Listen der vergangenen Umfragen und den anschließend tatsächlich eintretenden Erfolg der Künstler der oberen Plätze. Doch die Akkuratheit mit der die Umfrage musikalische Trends voraussagt, ist trügerisch: die Meinungsbilder, die nach ihrer Meinung und ihrem Geschmack gefragt werden, werden sicherlich dafür sorgen mit ihrer Wahl nicht falsch zu liegen und ihren favorisierten Künstlern die Medienpräsenz geben, die sie brauchen.

Traurig ist auch die Tatsache, dass die Liste nur wiedergibt wer in dem Jahr wahrscheinlich groß rauskommt; die Charts und der Hype aber haben in letzter Zeit eher selten qualitative Größe wiedergespiegelt. Außerdem, inwiefern neues und außergewöhnliches in die Liste kommt, und somit unterstützt wird, ist fragwürdig, da der Mut zur Abweichung vom bereits Etablierten der Mehrheit wohl eher fehlt. Insofern werden wohl weiterhin Künstler und Bands unterstützt, die bereits einen gewissen Hype am Laufen haben und die sowieso bereits hoch gehandelt werden, wenn auch nicht im Mainstream. Schließlich können sich darauf die meisten einigen.

Und um genau diesen Konsens geht es: Bestätigung der „Versprechungen“ die eine aufsteigende Band mit sich bringt –  Segen für das Label unter dem die Band unter Vertrag steht, da somit Risiken der Investition in sie reduziert werden.

Letztlich kann man bei der „BBC Sound of…“ Umfrage und ähnlichen, genauso funktionierenden Umfragen, von einer self-fulfilling prophecy sprechen, denn die Umfragen sind auch nur Meinungsmache.

Quellen:

http://www.bbc.co.uk/music/soundof/2011/

http://www.guardian.co.uk/music/musicblog/2007/dec/09/tippingthesoundof2008

Internettelefonie in China bald unterbunden?

Und weiter gehts… nach Diensten wie Facebook, YouTube, Twitter und Google scheint es nun VoIP-Diensten wie Skype an den Kragen zu gehen. Das chinesische Volksblatt „Renmin Ribao“ fachte kürzlich nochmal die Befürchtungen an, Dienste wie Skype könnten in Zukunft in China verboten werden. Da das Anbieten von Telefonie durch die chinesische Regierung zugelassen werden muss, befanden sich Skype und ähnliche Anbieter sowieso bereits in einer gesetzlichen Grauzone. Zwar sollen Telefonate zwischen Computern weiterhin erlaubt sein, doch sollen diese über staatlich kontrollierte Anbieter wie China Unicom und China Telecom laufen.

Die Gründe sind vielseitig. Chinesische Staatsmedien berichten vom Willen das Monopol der oben genannten Staatsunternehmen schützen zu wollen –  um somit Telefongespräche besser zu überwachen, da Skype sich in China zwar teilweise den Gesetzen zur Kontrolle und Überwachung unterworfen haben soll, Telefonate aber weiterhin einer gewissen Verschlüsselung unterzogen werden, die nicht nur chinesische Staatskritiker nutzen.

Wie die chinesische Regierung das technisch durchsetzen will, ist bisher unklar. Teilweise soll der Download des Skype-Clients nicht mehr funktionieren, aus Shanghai häufen sich aber wohl Meldungen eines eher reibungslosen Ablaufs. Bei der weltweit größten Internetgemeinde (ca. 450 Mio. Nutzer, die jetzt schon erfolgversprechend daran arbeiten die Sperre für Facebook zu umgehen) dürfte sich das Regulieren des dementsprechend großen Markts für Internet-Telefonie als schwierig herausstellen. Wenigstens wurde bereits eine Hotline zur Meldung von Verstößen eingerichtet.

Quellen (am 01.01.11, 22:30):

http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-12/china-skype-verbot

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,737289,00.html

http://www.telegraph.co.uk/technology/internet/8231444/China-makes-Skype-illegal.html

Wikileaks „nur“ ein Anfang?

Wikileaks und Julian Assange sind in aller Munde und obwohl es neben Wikileaks noch andere Verbreitungsplattformen für sogenannte Whistleblower gibt, kann man ziemlich sicher sagen, dass Wikileaks erst dafür gesorgt hat diese Form der Informationsverteilung ins Rampenlicht der gesellschaftlichen Diskussionsbühne zu rücken.

Mitarbeiter und Kollegen Assange’s wandten sich vor einigen Monaten von Assange ab, mit der Begründung sie fänden Assanges Person sei zu weit in den Vordergrund gerückt und würde der Seite schaden. Im November kündigte der wohl prominenteste  Aussteiger Daniel Domscheit-Berg an eine Alternative zu Wikileaks aufbauen zu wollen – ohne die Fehler die Assange seiner Meinung nach beging. Openleaks heißt die Seite, die Domain ist bereits registriert und ging vor ein paar Tagen online; endgültig starten soll sie Mitte Dezember.

Im Gegensatz zu Wikileaks soll Openleaks Quellen die Möglichkeit bieten selbst zu entscheiden an wen ihre Informationen gehen sollen; diese Aufgabe übernimmt bei Wikileaks die Plattform, die mit dem englischen „Guardian“ und dem deutschen „Spiegel“ inzwischen feste Medienpartner hat. Openleaks‘ System soll ein Netzwerk dezentralisierter, digitaler und sicherer Briefkästen sein mit jeweils einem für jede Nicht-Regierungs Organisation, jeden Verlag, jeden Journalisten, etc der einen möchte. Openleaks anonymisiert und überprüft (technisch) das Dokument lediglich und gibt es dann an den gewünschten Empfänger weiter. Veröffentlicht die gewählte Quelle die Information nicht, wird anderen „Briefkästen“ der Zugriff auf die Informationen erlaubt. Inhalte statt Personen sollen wieder im Vordergrund stehen.

Die Kritik an Assange ist sicherlich gerechtfertigt, auch Domscheit’s Konzept wirkt ausgereifter als Assange’s Plattform, da dezentrale Strukturen schwer anzugreifen sind. Trotzdem muss man Assange lassen, dass grade seine Idee, gepaart mit eben diesem zentralen Aufbau und dem Auftreten seiner Person sicherlich eine große Rolle gespielt haben Wikileaks groß zu machen. Davon werden andere, ähnliche Portale wie eben Openleaks auch profitieren und den Weg für neue Portale dieseer Art öffnen. Wir werden sehen…

Quellen (zugegriffen am 10.12.10, 17:20)

http://www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/weniger-spektakel-weniger-macht/

Aus Fehlern lernen: OpenLeaks

http://www.zeit.de/digital/internet/2010-12/openleaks-wikileaks-domscheit-berg

Wachbleiben!

Ob es der journalistischen Ehre entspricht Artikel zu bestimmten Veranstaltungen vorzuschreiben um es vor Redaktionsschluss noch zu schaffen oder nicht, sei jetzt mal dahin gestellt. Ein Fehler wie er der Redaktion der österreichischen Tageszeitung „Österreich“ mit der gestrigen heutigen Ausgabe unterlaufen ist, sollte trotzdem nicht passieren.

Die Nachricht, dass die gestrige Live-Sendung von „Wetten dass..?“ am Samstag schon nach der ersten Wette abgebrochen werden musste, schien in Österreich (die Zeitung) noch nicht angekommen zu sein, als das Blatt in Druck ging. Das Blatt titelte heute gestern morgen mit „Take That bei ‚Wetten dass..?‘ So rockte Robbie Gottschalk“ und fügte im Innenteil zu vermeintlichen Fotos des Auftritts die Überschrift „Gottschalk: Robbie holte Show aus Koma„, obwohl „Robbie“ nie auftrat. Das Wort „Koma“ in der Überschrift steht zu allem Überfluss noch in einer bitteren Parallele zur Show, betrachtet man den momentan kritischen Zustand des zu Fall gekommenen Wettkandidatens.

Österreich Innenteil
Quelle: http://www.persoenlich.com/news/show_news.cfm?newsid=92277 und das WWW

Quellen:

http://www.persoenlich.com/news/show_news.cfm?newsid=92277

http://twitpic.com/3d4q27

„To whom it may concern.“

Musikidole wie Trent Reznor (u.a. Nine Inch Nails) und John Frusciante (u.a. ehem. Gitarrist der Red Hot Chili Peppers) nutzen die Möglichkeiten die es bietet, junge Künstler wie The XX oder Lily Allen haben ihm den größten Teil des Erfolgs zu verdanken. Dass das Internet sich als gute und günstige Werbe- und Vertriebsplattform von Musik, aber auch Filmen und anderen Unterhaltungsmedien eignet, dürfte inzwischen den meisten klar sein. Gerade Virales Marketing – über Netzwerke und Internetseiten ausgelöste, gesteuerte Mundpropaganda, die sich wie ein „Virus“ verbreiten soll – erfreut sich großer Beliebtheit, grade bei Filmproduzenten: J. J. Abrams zum Beispiel nutzte für seinen Film „Cloverfield“ MySpace um die fiktionalen Charaktere aus dem Film vorab „lebendig“ zu machen, verbreitete über YouTube inszenierte Nachrichtensendungen, die über die Ereignisse aus dem Film berichteten, und ließ Websites erstellen, die die Nutzer wie bei einer Schnitzeljagd näher an den Film führen sollten. Ein aktuelleres, bekanntes Beispiel ist der „JK Wedding Entrance Dance“ auf jeglichen Videoplattformen (YouTube, Clipfish, etc…) der Chris Brown’s Lied „Forever“ promoten sollte. Allgemein ist zu beachten, dass die Mundpropaganda normalerweise kontrolliert und gesteuert wird: einflussreiche Blogs und/oder Magazine des relevanten Umfelds werden informiert und gemeinsam mit Crowdsourcing genutzt um die Anfänge der Kampagne zu unterstützen und Aufmerksamkeitsschwerpunkte der Zuschauer zu lenken.

Wer sich in letzter Zeit ein wenig in der Musikszene umgehört hat, hat eventuell mitbekommen wie das Prinzip des viralen Marketings auf eine neue Ebene verfrachtet wurde. „Iamamiwhoami„, inzwischen ziemlich sicher als die schwedische Indie-Pop Sängerin Jonna Lee identifiziert, fing am 4. Dezember 2009 an monatlich Musikvideos auf YouTube zu veröffentlichen in denen sie sich in Begleitung von synthie- und basslastiger, elektronischer Musik und später auch seltsam proportionierten, männlichen Gestalten sowie ihrer elektronisch verzerrten, hohen Stimme, in seltsamen Flüssigkeiten räkelt, Arme aus Bäumen wachsen lässt und ihre Zunge an denselbigen streicht. Wahrlich der feuchte Traum eines Dendrophilen, wie treffend von MTV-Redakteur James Montgomery hier bezeichnet. Ich werde ihm die genauere Beschreibung der Videos überlassen, die später aus der Thematik „Wald“ heraustreten und in einem Labyrinth aus Pappkartons weitergedreht werden… wahrlich gruselig, verwirrend und eigentlich nicht zu beschreiben. Auch die Titel der Videos sind kryptisch: Zahlencodes werden von einzelnen Buchstaben abgelöst, die beide danach verlangen entschüsselt zu werden. Wie groß das „Einzugsgebiet“ der interessierten und engagierten Menge ist zeigt sich an den Spekulationen, die sich lange um die Identität der Person hinter den Videos rankten: Trent Reznor, Aphex Twin und The Knife waren zusammen mit Lady Gaga und Christina Aguilera im Gespräch, Künstler wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.

So weit, so unrevolutionär was das Prinzip des viralen Marketings betrifft, sieht man davon ab, dass sich die Lebensdauer des Projekts sich bereits über ein Jahr hinzieht und noch nicht zu Ende zu sein scheint. Vor knapp zwei Monaten allerdings erschien ein sehr kurzes Video auf Iamamiwhoami’s YouTube-Channel indem sie um einen Freiwilligen bittet und ein Konzert für den 16.11.10 ankündigt. Nach zwei weiteren Videos erschien auf ihrem Channel am 12.11.10 ein Videotagebuch (im Amateur-Stil gehalten) des von der Community ausgesuchten Freiwilligen, der im Verlauf des Tagebuchs zeigt wie er von Berlin-Tegel nach Schweden fliegt um dem privaten Konzert beizuwohnen. Auch hier ist alles mysteriös gehalten, man sieht Personen in sein Hotelzimmer treten um ihm Anweisungen zukommen zu lassen doch bis zum Tag des Konzerts wird nur wenig gesprochen und es werden keine Gesichter gezeigt. Das Konzert, was für 4 Stunden auf einer Website des Projekts abrufbar war, zeigt die Autofahrt des Freiweilligen zum Konzert (im Wald) und wechselt dann wieder auf eine professionelle Kameraführung. Das Konzert ähnelt schließlich weniger einem Konzert als einer Führung durch einen surrealen Wald mit skurrilen Ritualen,Tänzen mit musikalischer Begleitung und anschließender (inszenierter) Beisetzung und Hinrichtung des Freiwilligen – in der Reihenfolge. Welche Teile vom Konzert bereits vorbereitet und bei welchen der Freiwillige tatsächlich zugegen war bleibt dem Urteilsvermögen des Zuschauers überlassen, klar ist jedoch, dass es unmöglich war das einstündige Konzert an einem Stück zu drehen. Traurigerweise wurden im Anschluss an das Konzert jegliche Videos die damit in Verbindung standen vom Channel gelöscht und finden sich (illegalerweise) nur noch auf wenigen Fansites.

Verblüffend jedoch ist der unglaubliche Einbezug der Community in dem Projekt und dass es tatsächlich möglich war einige, sonst doch so anonyme Internetnutzern, dazu zu bringen ihre Adresse und Telefonnummer zu veröffentlichen (Pflicht für das Amt des Freiwilligen). Eine Frage die auch noch aussteht ist der Zweck des Projekts. Inzwischen gehen viele nicht mehr nur davon aus, dass es als gut gelungene Werbung für Jonna Lee’s (neue) Musik und damit einem wirtschaftlichen Zweck dienen soll, sondern auch das musikalische Konsumverhalten jedes Einzelnen aufzeigen soll; man schaue sich nur Szenen in den Kommentarsektionen unter Iamamiwhoami’s Videos an in denen immer schneller nach immer mehr verlangt wird und der Konsum das Genießen und Nachdenken über das Produkt verdrängt.

In vollem Bewusstsein hiermit selbst Teil des viralen Netzwerks zu werden, hier ein Link zum Ausgangsort des ganzen: http://www.youtube.com/iamamiwhoami und (ja, auf Wikipedia) eine gute, chronologische Auflistung des Geschehens.