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Karnickel-Gate

Katholiken sollen sich nicht wie die Karnickel vermehren. Bei drei Nachkommen solle Schluss sein, mit dem eigenen Nachwuchs müsse man Maß halten und so positiv dazu beitragen, dass die Weltbevölkerung nicht weiter so unportional ansteige wie bisher. Mit diesen Worten hat Papst Franziskus unter der Woche für Furore gesorgt. Auf der einen Seite sorgte er für einige Lacher, für nickende, zustimmende Köpfe. Auf der anderen Seite rief seine Äußerung Unmut hervor, vor allem unter Kaninchenzüchtern.

Ausgangspunkt war sein medienwirksamer Besuch auf den Philippinen. Auf dem Rückflug von Manila nach Rom erklärte er sich vor anwesenden Journalisten, äußerte sich besorgt zur enorm hohen Geburtenrate auf den Philippinen und der damit durchaus auch zumindest indirekt in Beziehung stehenden Armut. Wichtigstes Stichwort seiner Ausführungen war das katholische Konzept der „verantwortenden Elternschaft.“

Die „verantwortende Elternschaft“ entwirft das Idealbild einer katholischen Familie in einem Elternpaar mit drei Kindern. So umgehe man das Problem, das auf den Philippinen herrscht, nämlich die Überpopulation, gleichzeitig reagiere man aber auchauf erschreckende Prognosen, die in der in den Industrienationen immer weiter sinkenden Geburtenrate  ein Risiko für das gesamte Rentensystem sehen, und das schon in wenigen Jahren. Im konkreten Beispiel Italien müsse man Stand jetzt damit rechnen, dass schon 2024 die Altersvorsorge nicht mehr zu stemmen wäre.

So spricht er ein durchaus relevantes Thema an, das in vielerlei Hinsicht Grund zur Sorge gibt. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen steigt immer weiter an, während die Vermögenskonzentration voranschreitet. Erst in dieser Woche machte der Oxfam-Armutsbericht das deutlich: Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt über 50 Prozent des Weltvermögens. Doch statt sich mit den durchaus überdenkenswerten Grundthesen seiner Ansprache zu beschäftigen, wurde ein ganz anderes Fass aufgemacht. Franziskus hatte sich nämlich erdreistet, die gesamte Gattung der Kaninchen in ein völlig falsches Licht zu rücken.

Die Aussage des Kirchenoberhauptes noch einmal im Wortlaut: „Einige glauben – entschuldigt bitte das Wort -,um gute Katholiken zu sein müssen wir sein wie Kaninchen, nicht wahr? Nein.“ Das konnte der „Chef der deutschen Rasse-Kaninchenzüchter“ Erwin Leowsky natürlich nicht auf sich sitzen lassen und sorgte mit seiner öffentlichen Kritik an den Worten des Papstes für ein hohes mediales Echo. Das Sprichwort „vermehren wie die Karnickel“ sei völlig überholt und treffe nur auf in der Wildnis lebende Tiere zu. Die Fortpflanzung von Zuchttieren laufe in völlig geordneten Bahnen. Bei ihm würde „ein weibliches Tier höchstens zwei Mal im Jahr belegt“.

Nun, es mag zutreffen, dass man in diesem Fall nicht von ungeordneter Fortpflanzung sprechen kann. Der Grund hierfür liegt allerdings in der menschlichen Kontrolle, die den Tieren ihre gattungsgegebenen Instinkte abtrainiert. Zieht man einem Hund am Tag vierundzwanzig Stunden lang einen Maulkorb an, bellt er auch nicht mehr. Trotzdem wird man sagen dürfen, dass Hunde in aller Regel doch bellen.

Eigentlich gibt es weitaus wichtigere Diskussionen, die mit dem angesprochenen Thema einhergehen. Wieso findet Verhütung in der katholischen Kirche im 21. Jahrhundert weiterhin keinen Platz? Warum entwirft man stattdessen merkwürdige Konzepte, die Menschen vorschreiben sollen, wie viele Kinder sie zu gebären haben? Und wieso finden diese Fragestellungen in medialen Diskurs kaum mehr Platz? Vielleicht, weil sie nicht neu sind. Schon seit Jahrzehnten monieren Kritiker das Kondomverbot der Kirche. Dass es allerdings zum Duell Kaninchenzüchter versus Papst kommt, das ist neu. Und scheinbar äußerst interessant.

Weltmeister ohne Makel

Es ist nun ein gutes halbes Jahr her: In ganz Deutschland feierte man ausgelassen eine Reihe von Menschen, die in Brasilien gerade etwas Besonderes erreicht hatten: Sie war Weltmeister geworden, hatte alle Erwartungen übertroffen, hatte Millionen Fußballfans stolz gemacht. Es ging das Gefühl um, wir alle wären Weltmeister. Und dieses Gefühl wurde vom DFB auch ganz klar nach außen transportiert. Der Tenor: Ohne die Fans in der Heimat wäre diese Mannschaft im Jahre 2014 kein Weltmeister geworden.

Heute, am 2.Januar 2015, läuft in der ARD zum ersten Mal im frei empfangbaren Programm die offizielle Doku zum Titelgewinn, sie trägt den schönen Namen „Die Mannschaft“. Nur wenige Monate nach dem Kinostart des Films wird sie allen Deutschen frei zugänglich gezeigt, schließlich sind wir ja auch alle irgendwie Weltmeister.  Erst am 2. Januar, weil der Neujahrstag eben nun einmal Tatorttag ist. Gegen den Kultkrimi kommt auch der Weltmeister nicht an. Der muss sich hinten anstellen und darf sein Filmchen erst einen Tag später zeigen. Einschaltquoten wird er trotzdem generieren, denn das Volk sehnt sich nach dem Hochgefühl, dass es im Sommer erfasst hat. Um es mit den Worten Andreas Bouranis zu sagen: „Wer friert uns diesen Moment ein? Besser kann es nicht sein?“. Ab dem morgigen Tag darf der Moment aber ruhig erstmal in der Tiefkühltruhe (oder der Eistonne) bleiben, denn dann ist auch mal gut mit dem ’sich-selbst-Feiern‘. Und mit dem Lied, das 2014 durch die Decke ging, mittlerweile aber nur noch den Wenigsten ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

 Die Erinnerungen, die der Film noch einmal aufwärmt, werden sich die Allermeisten noch einmal anschauen wollen, und das ist überhaupt nicht verwerflich. Es war schließlich wirklich ein toller Sommer und es war wirklich ein kollektives Glücksgefühl, dass diese dreiundzwanzig Spieler und das sie begleitende Trainerteam nach Deutschland schwappen ließen. Doch bei einem offiziellen Film von FIFA und DFB darf man auch nicht mehr erwarten als plumpes ‚in-schönen-Erinnerungen-Schwelgen‘. Interna wird man keine erfahren, Streitereien werden verschwiegen. Alles war total nett in Campo Bahia, dem Aufenthaltsort der Mannschaft in Brasilien. Tolle Tore, lustige Stimmung, viel Harmonie und ein völlig reibungsloser Ablauf. Wer sich einen differenzierteren Blick auf die Dinge erhofft, wird enttäuscht werden. Und jeder Zuschauer sollte sich im Vorhinein gewiss sein: Das WM-Finale zu schauen war spannender. Die Torgala gegen Brasilien zu schauen war überwältigender. Und das Interview mit Per Mertesacker nach dem Spiel gegen Algerien war unterhaltender als dieser Film.

Doch ist er damit gleich schlecht? Ich sage nein. Er bietet eine schöne Erinnerung an ein schönes Ereignis, dem Zuschauer sei gestattet, sich zurückzulehnen und zu entspannen. Große Fragen werden zwar nicht aufgeworfen und auch nicht beantwortet. Doch wenn man in vielen Jahren, dann vielleicht gemeinsam mit Kindern oder sogar Enkelkindern, auf das Jahr 2014 zurückschauen und den Kleinen erzählen will, wie das damals so war, als Deutschland zum vierten Mal Weltmeister wurde und man selbst enthusiastisch gefeiert hat, dann kann man auf diesen Film zurückgreifen und selbst Unbeteiligte werden begeistert sein von der Harmonie, die im Jahre 2014 in Deutschland herrschte. Denn der Titel sagt es schon: Da hat wirklich eine Mannschaft zusammengespielt.

„Herr Guardiola“ zieht blank

Er gilt als der beste Trainer der Fußballbranche weltweit, hat bei seinem Ex-Klub in Barcelona alles zu Erreichende erreicht und setzt seine Mission nun beim FC Bayern in München fort: Josep, genannt Pep Guardiola. Seine taktischen Kniffe sind berüchtigt, die Besessenheit in punkto Fußball ebenso. Ein Mann, der sein Leben dem Sport und vor allem dem idealen Spiel widmet, der dabei jahrelang fast schon pedantisch darauf geachtet hat, seine Gedanken und Ideen für sich zu behalten. Der die Presse für gewöhnlich nicht am Training teilhaben lässt, nur in den seltensten Fällen aufschlussreiche Interviews gibt. Das alles ist Pep Guardiola. Der selbe Pep, der sein erstes Arbeitsjahr beim FC Bayern komplett von einem einzelnen Journalisten begleiten ließ.

Viele dachten, sie sehen nicht recht, als sie im Spätsommer 2014 einen Blick in das gerade erschienene Buch „Herr Guardiola“ von Martí Perarnau warfen. Der sonst so auf Geheimniskrämerei versessene Guardiola lässt einen Journalisten ein ganzes Jahr lang jeden Tag bei allem dabei sein? In der Trainerkabine? In der Spielerkabine? Bei der Taktikschulung, im Physioraum, ja sogar in seiner Privatwohnung? Details aus all diesen Bereichen enthüllt das Buch nämlich. Und dabei hatte der Autor nur eine Einschränkung: Tagesaktuelle Details sollte er nicht an die Presse verkaufen, nur in seinem Buch durfte er alles Erfahrene veröffentlichen.

Dabei bekamen auch einige Spieler ihr Fett weg, die sich äußerst verschwiegen zeigen, wenn sie auf das Buch angesprochen werden. Reaktionen sind bisher keine bekannt, ob die Veröffentlichung ihr Verhältnis zu Guardiola allerdings verbessert hat, ist zumindest fraglich. So bezichtigt er beispielsweise Franck Ribéry einer langsamen Auffassungsgabe, Jerome Boateng habe er das Abwehrspiel von Grund auf erklären müssen und Javi Martínez erlebte eine komplette Gehirnwäsche unter seinem spanischen Landsmann. Demgegenüber stehen Spieler wie Philipp Lahm, dessen Genialität ausdrücklich gewürdigt wird, und Rafinha, explizit als „wichtigster Spieler auf dem Feld“ bezeichnet.

Bis heute sind im deutschen Fußball Eindrücke aus der Kabine, mannschaftsinterne Angelegenheiten und Gespräche eigentlich absolutes Tabu für die Presse. Interna bleiben Interna, das musste auch der Kicker über das gesamte erste Jahr Guardiolas erfahren. Viel Information bekam man aus dem neuen, so glamourös erscheinenden Mann nicht heraus. Auch deshalb äußert man sich in seiner Titelstory vom 22.09.2014 eher kritisch zu den Inhalten des Buches.

Besonders brisant ist in diesem Zusammenhang ein Vorfall Ende November 2013: Guardiola beschwert sich ganz offen über einen scheinbaren Maulwurf im Team, droht mit Rauswurf, sollte er den Verantwortlichen ausfindig machen. Zeitgleich sitzt ein Journalist mit in der Kabine und hört all die taktischen Anweisungen, die nun über den angesprochenen Maulwurf nach außen gelangt sein sollen, mit an. Ein Zeichen einerseits, wie sehr Guardiola Perarnau in dessen Arbeit vertraut. Ein Zeichen andererseits, dass er zu diesem Zeitpunkt einigen Akteuren des Münchner Kaders deutlich misstraute.

Nicht nur für die Presse, auch für Spieler und sogar die Pressestelle der Bayern war der Spanier, der auf einmal und ohne Erklärung auf dem Trainingsplatz auftauchte und sich meist im Hintergrund hielt, ein Rätsel. Die große Mehrzahl der Mitarbeiter an der Säbener Straße war überhaupt nicht eingeweiht in die Pläne des Trainers, seine Arbeit dokumentieren zu lassen. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der grundsätzlichen Vertrauensbasis innerhalb des Vereins.

Fest steht, dass diese Episode der bisherigen Amtszeit Guardiolas dessen Machtanspruch und tatsächlichen Machtbereich eindrucksvoll kennzeichnet. Er hat vieles umgekrempelt in München und dazu freies Geleit bekommen. Guardiola ist der alles bestimmende Zampano rund um die Allianz Arena. Dass es aber auch Grenzen gibt in der (All-)Macht des Trainers, zeigt folgendes Beispiel aus dem Sommer 2014: Im Zuge der Verletzung des Mittelfeldspielers Tiago Alcantara will Guardiola in medizinische Belange eingreifen und schickt den am Knie verletzten Spieler zu einem Arzt nach Barcelona, wo er mit Kortison behandelt wird. Das verschlimmert die Verletzung allerdings, bis heute stand das große Talent nicht mehr auf dem Platz. Daraufhin sprachen die Bayernbosse ein Machtwort, medizinische Angelegenheiten sind kein Einflussbereich des Trainers. Den Machtkampf gegen die Institution Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München hat der Trainer damit verloren.