Freispruch für Kachelmann. Eines der größten Medienereignisse der letzten Monate hat sein vorläufiges Ende gefunden. Man braucht es auch nicht mehr, denn mit dem Fall Strauss-Kahn hat sich ein ähnliches Nachfolgethema gefunden, das die freigewordene Stelle füllen kann. Kachelmann wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Freispruch auch für spanische Gurken. Kaum erreichte uns die Meldung, dass es vermutlich doch nicht diese waren, die den gefährlichen EHEC-Erreger unters Volk brachten, wurde bereits der nächste Verdächtige identifiziert. Sprossen aus einem Niedersächsischen Betrieb waren ab sofort die möglichen Übeltäter. „Freispruch aus Mangel an Beweisen“ befand auch Focus Online [1].
Keineswegs möchte ich zwei Strafprozesse, in denen es um mutmaßliche Vergewaltigungen geht, mit Vorsichtsmaßnahmen vergleichen, die dem Schutze der Bevölkerung dienen sollten. Es sind zwei Paar Schuhe.
Auffällig ist es jedoch allemal, dass ähnliche Meldungen eine Thematik fortführen. Angetrieben von dem ständig währenden Hunger der medienkonsumierenden Menschheit nach Sensationen und Skandalen, geben sich die Ereignisse wie beim Staffellauf den Stab in die Hand. Hat sich einer der Läufer ausgelaufen, übernimmt ein Zweiter, dann ein Dritter, und so weiter. In der ewig-endlosen Kreisbahn dieses Rennens wird akribisch Beobachtet, welcher der Läufer es am weitesten schafft, ehe er an seinen Nachfolger abgeben muss. Angefeuert durch die nahezu in Ekstase versetzten Zuschauermengen geht es nicht darum, dass sich so etwas wie ein Sieger des Rennens herauskristallisiert. Es gibt schließlich keine Ziellinie. Viel wichtiger ist es, dass eine Sau nach der anderen durch’s Dorf gejagt wird. Oberste Leitlinie ist die Aufrechterhaltung der Spannung der Konsumentenschaft.
Eine der zentralen Merkmale moderner Gesellschaften ist die ewige Suche nach einem Sündenbock. Irgendjemand oder irgendetwas muss ja schließlich schuld an all dem Übel in der Welt sein. Man sucht und identifiziert diese Unholde einen nach dem anderen und präsentiert sie der Öffentlichkeit am Pranger wie einst die geschmähten Straftäter und Sittenstrolche mit Schandmasken auf dem Dorfplatz.
Wer anderen unrecht getan hat, hat dafür gerade zu stehen und muss eine gerechte Strafe erhalten. Sollten sich die Vergewaltigungsvorwürfe gegen die am Anfang genannten Verdächtigen noch bestätgen, so müssen sie für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Verurteilung ist dann unausweichlich und notwendig. Doch sobald auch diese anschließend den Platz für neue Skandale freimachen, werden sich neue einfinden, und es gibt erneut eine Sau, die es durch das Globale Dorf zu jagen gilt.
Dieses Phänomen des niemals abreißenden Nachrichtenstrangs in Kombination mit beschriebener Hetzjagd muss eines der großen Themen für die Medienwissenschaft sein. Unser Hunger wird nie gesättigt, unser Durst nie gestillt. „Woher rührt unser Verlangen nach Sensationen?“ und „Inwiefern kommen die Medien diesem Verlangen nach?“ wären zwei in diesem Zusammenhang angebrachte Fragen.
Morgen wird eine neue Nachricht die Runde machen und für Diskussionen und sich scheidende Geister sorgen. Doch was auch immer es sein mag, am Ende wird man sich gegenseitig in zustimmendem Einvernehmen nickend versichern:
Die Sau haben wir erledigt.
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[1] http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/verdauung/ehec/ehec-erreger-freispruch-aus-mangel-an-beweisen_aid_636137.html (10.06.2011)