Sie ist aus dem deutschen Städten nicht mehr wegzudenken, und das seit Generationen. Ob in Großstädten, in der Provinz, ob in Kiel oder Trier – wer an angeschlagenen Plakaten vorbeiläuft, die oft an belebten Orten wie Bushaltestellen oder Ampelkreuzungen platziert wurden, steht zumeist vor einer von ihnen. Die Rede ist selbstverständlich von der guten alten Litfaßsäule. Und spätestens beim Gedanken, wieso ausgerechnet ein so beständiges „Stadtmöbel“, wie die zylinderförmige Werbezierde mit der langen Historie im Beamtendeutsch genannt wird, den deutschen Rechtschreibreformen ob seines auch heute noch vorzufindenden scharfen S entgangen ist und nicht mit Doppelkonsonant geschrieben wird, fällt der interessierte Blick auf den Mann, der sie erfand – und sich mit seinem ungewöhnlichen Nachnamen immerhin als einer der wenigen Deutschen in einem im Duden vertretenen Wort unserer Amtssprache verewigt hat. Doch wer war dieser „Reklamekönig“, wie man ihn zeitlebens in Berlin nannte? Und wieso hat sich ausgerechnet der Name Litfaß konsequent bis ins Jahr 2016 für diese Erfindung etabliert?
Der lange Weg zum „Säulenheiligen“
Ernst Theodor Amandus Litfaß wurde dieser Tage vor genau 200 Jahren, am 11. Februar des Jahres 1816 in seiner bis zu seinem Tod für ihn Lebensmittelpunkt bleibenden Wahlheimat Berlin geboren. Als Sohn eines stadtbekannten Buchdruckers schien seine berufliche Zukunft durchaus bereits zu diesem Zeitpunkt vorbestimmt; eine Vermutung, die sich nicht zuletzt durch den Tod seines besagten Vaters etwa eine Woche nach seiner Geburt und die Tatsache, dass seine Mutter kurz darauf einen weiteren renommierten Buchdrucker und Verleger ehelichte, erhärtete. Nach seiner Zeit im preußischen Schulsystem des frühen 19. Jahrhunderts und einer wohl eher aus Zwang durch den strengen Stiefvater absolvierten Ausbildung zum Buchhändler folgten für sowohl damalige, als auch heutige Maßstäbe wilde Jahre: Ausgedehnte Reisen durch Europa, Begeisterung für die Schauspielerei, ja sogar die Gründung einer eigenen Theatergruppe. Entsprechend groß muss die Begeisterung daheim gewesen sein, als Ernst 1845 dann letztlich doch in das Druck- und Verlagshaus der Familie einstieg um dieses im Folgejahr zu übernehmen.
Hier zeigt sich schnell Litfaß‘ Geschick als Geschäftsmann und zugleich ein zentrales Erfolgsrezept für seine gesamte spätere Karriere: Purer Opportunismus auf der einen, das Glück im richtigen Moment die erfolgversprechendere Seite zu wählen auf der anderen Seite. So unterstützte er während der Märzrevolution 1848 die für Demokratie und Nationalstaatlichkeit einstehenden Aufrührer und Protestanten durch den Druck von Flugblättern, Plakaten und dem für die Bewegung wichtigen Satireblatt „Der Krakehler“ – tat dies jedoch ausnahmslos anonym, „unter dem Radar“, wie man es heute ausdrücken würde. Viel mehr noch: Litfaß gab erzkonservative, auf Gefallen der königlichen Regierung getrimmte Flugschriften heraus, in welchen er die Zensur und Repression in Preußen sogar lobt. Ein politisches Doppelspiel, das ihm hochrangige Kontakte und hohes Ansehen in der bald hereinbrechenden Reaktionspolitik einbrachte, ohne die sein berühmtester Geschäfts-Clou wohl nie möglich gewesen wäre.
„Litfaßelei“ und staatliche Würden
Dieser folgte dann 1855, nachdem sich Litfaß bereits als patentes Mitglied des preußischen Bürgertums etabliert und – natürlich verbunden mit reichlich Anbiederung an das Königshaus (er sprach in öffentlichen Korrespondenzen um 1853, also rund fünf Jahre nach dem Ende der Revolution, von Friedrich Wilhelm IV. als „Gottgesalbten“) – einen guten Namen in der Hauptstadt des Reichs gemacht hatte. Inspiriert von englischen Bekanntmachungstafeln in Achteckform schloss er eine Abmachung mit dem damaligen Berliner Polizeipräsidenten: Litfaß stelle dreißig öffentliche Pissoirs zur Kultivierung der wachsenden Großstadt auf eigene Kosten bereit, wenn ihm auf zehn Jahre das Monopol gewährt würde, dass Bekanntmachungen und Plakate einzig und allein an seinen anfangs 100 dunkelgrünen Annoncier-Säulen angebracht werden dürfen. Der Vertrag kam zustande, Litfaß wurde über Jahre hinweg als Wahrer der Ordnung und Innovator der Werbelandschaft gefeiert – besagte öffentliche Toiletten wurden jedoch trotz wiederholter Klagen des Berliner Magistrats und diversen, als ‚Litfaßeleien‘ verschrienen Ausreden und Verschiebungen nie errichtet.
Doch angesichts allen Ansehens in der Gesellschaft und dem nicht zu unterschätzenden Gewinn aus dem großstädtischen Werbesäulen-Monopol dürfte wohl dennoch eine Ehrung in Litfaß‘ späteren Lebensjahren die bedeutendste genannt werden: In den späten 1870er-Jahren wird ihm von Seiten des Königshauses der Königliche Kronen – Orden für seine unerschütterliche Loyalität und seine treuen Dienste zum Wohle Preußens, da er durch den Druck und den Säulenanschlag von Kriegsdepeschen, Gefallenenlisten und sonstigen Bekanntmachungen deutlich schneller zur Unterrichtung der Stadtbevölkerung während der Reichseinigungskriege bis 1870 / 71 beitrug. Auf einer Kur im hessischen Wiesbaden starb Litfaß dann 1874 im Alter von 58 Jahren; sein Vermächtnis, neben einem eigens nach ihm benannten Platz in Berlin-Mitte und einer Sonderbriefmarke der Bundespost, sind seine persönlichen, kreisrunden Denkmäler in Säulengestalt – und davon auch heute noch mehrere Zehntausend in der gesamten Bundesrepublik.