Alle Beiträge von Marcel Piest

Medienpreis des Deutschen Bundestages für Spiegel-Redakteure

Dirk Kurbjuweit und Christoph Schwennicke sind gestern mit dem Medienpreis Politik des Deutschen Bundestages ausgezeichnet worden. Das teilt der Deutsche Bundestag auf seiner Homepage mit. Die Journalisten erhielten den Preis für ihren Beitrag „Gefährliche Trägheit“ (Spiegel Nr. 20, 10.05.2008).

Die Spiegel-Redakteure konnten sich gegen 49 Mitbewerber durchsetzen. Kurbjuweit und Schwennicke gehen in ihrem Beitrag der Politikverdrossenheit in Deutschland nach. Mit „Gefährliche Trägheit“ hätten die Journalisten Maßstäbe gesetzt, „an denen sich jüngere Kollegen orientieren können“, so Jurymitglied Klaus Rost laut bundestag.de.

Vergeben wird der Medienpreis des Deutschen Bundestages von einer Jury, in der ausschließlich JournalistInnen über Wohl und Wehe der eingereichten Beiträge entscheiden. Der Jury gehören unter anderem Dr. Peter Frey, Tissy Bruns und Ulrich Deppendorf an. Die eingesendeten publizistischen Arbeiten beschränken sich dabei nicht allein auf überregionale Presseerzeugnisse, auch Fernseh-, Hörfunkbeiträge seien in diesem Jahr eingereicht worden. Auch die Regionalpresse habe sich mit Beiträgen beteiligt. Die Anzahl der Einsendungen habe sich laut bundestag.de übrigens im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Kavka und die Hessenwahl

Ich hatte es gar nicht mitbekommen und war überrascht und irritiert zusammen. Markus Kavka kümmert sich beim ZDF im Netz um die heute stattfindende Landtagswahl in Hessen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten diesen Beitrag hier zu verfassen. Erstens wäre es denkbar über den qualitativen Niedergang von MTV zu sinieren und zweitens wäre es möglich zu fragen, was eigentlich Markus Kavka zum Web2.0-Hessenwahl-Experten macht.

Ersteres nur ganz kurz: Dass Kavka bei MTV nicht mehr glücklich werden würde, war schon länger bekannt. Die MTV-News weg, die Rockzone weg, Kavka weg. (Bis auf wenige Ausnahmen bei TRL oder brand:neu.) Mit Kavka geht ein – für einen Musiksender mittlerweile wohl zu altes – Urgestein, der mich in meiner Jugend-Zeit, in der ich häufiger beim Musikfernsehen hängen geblieben bin, begleitet hat. Die jetzige Pubertätsgeneration und die zukünftigen müssen wohl mit Schnuffi-Klingeltonwerbung, haufenweise Dating- und anderen Unterhaltungsformaten, einen Teil Musik und ohne Kavka auskommen.

Nun aber weiter in meinem Vorhaben, den Bogen zur Hessenwahl und zum ZDF zu spannen. Was macht Markus Kavka nun beim ZDF? Er soll scheinbar Seriosität, Coolness und Jugendlichkeit in der Wahlberichterstattung zu einem Rundum-Sorglos-Zuschauernachwuchspaket verpacken. Da passt eine Web2.0-Berichterstattung natürlich perfekt ins Profil. So heißt es dann auch beim ZDF: „Er sieht eine Chance, über die neuen Medien vor allem bei Jüngeren mehr Interesse für Politik zu wecken […]“. Er sei davon überzeugt, dass das Internet und Sendungen, wie sie jetzt zur Hessenwahl ausgestrahlt werden und bereits zur US-Wahl erprobt wurden, der Politikverdrossenheit bei jungen Leuten entgegen wirken könnten.
So wird Kavka heute wohl vor allem eines tun: Mit flotten Moderationen im Hörsaal der Uni Gießen sein Studierendenteam bei Laune halten und nebenbei noch skypen und twittern. Ich bin gespannt, wie das bei der Zielgruppe – ich zähle mich und viele LeserInnen dieses Blogs jetzt mal dazu – ankommt. Vor allem bin ich gespannt, wie viel Fachwissen dort ausgetauscht wird und wie tief die Analyse der Web2.0-Potenzialausschöpfung seitens der politischen Parteien geht. Ach ja, damit nicht nur Coolness und Kommunikationsfragen nicht zu kurz kommen, sorgt der allen ZDF-Zuschauern wohlbekannte Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte für die Erläuterung der Wahlergebnisse.

Eine interessante Frage, die sich mir bei der Programmankündigung stellt, ist: Müssen aktive Blogger, Twitterer und Web2.0-Junkies überhaupt für Politik sensibilisiert werden? Oder ist der Personenkreis, der dort als Zielgruppe eines solchen Formats in Betracht kommt, schon überaus gut gebildet und politisch interessiert? Außerdem bin ich gespannt, wie dem Umstand Rechnung getragen wird, dass das Web im US-Wahlkampf – wie Klaus Kleber bei der Nacht im Netz demonstriert hat – einen anderen Stellenwert hat und hatte, als dies in deutschen Landtagswahlkämpfen der Fall ist.

Markus Kavka und sein Team werden hoffentlich eine Antwort geben. Mein Tipp also für heute Abend: http://wahlimweb.zdf.de/

Über das Gesehene können wir uns ja in den Kommentaren austauschen.

(via medienrauschen und spreeblick)

Wenn es schon die Eltern nicht tun

Eine Studie erschütterte vor Kurzem das Land – oder sorgte zumindest bei Pädagogen, Verlagen und Medienexperten für Aufregung. Die Deutschen lesen ihren Kindern zu wenig vor. Im Land von Goethe, Schiller und Fontane wird lieber ferngesehen, denn (vor-)gelesen. Und was die Kinder nicht kennen, fordern sie auch nicht. Im Internet steht nun eine Abhilfe bereit. Eltern können ab sofort vorlesen lassen.

Unter www.bilderbuch.de bzw. www.piktcha.tv finden sich zahlreiche Bilderbuch-Klassiker wie „Max und Moritz“, ?Das Dschungelbuch? oder ?Pinocchio?. Hinzu gesellen sich zahlreiche Sandmännchen-Geschichten. Der Clou: Die Kinder können sich nicht nur Bilder ansehen, sondern bekommen die Geschichte zu den Bildern audiovisuell präsentiert. Gelesen werden diese von bekannten Persönlichkeiten wie Jochen Busse, Peter Lustig oder Sarah Kuttner. Alle Bilderbuchfilme können auch in Englisch angehört werden. Das gesamte Angebot richtet sich nach Angaben der Betreiber an Kinder zwischen zwei und sieben Jahren.

Ich konnte www.bilderbuch.de zur Weihnachtszeit kostenfrei testen. Auf mich macht das Angebot einen qualitativ hochwertigen und medienpädgogisch wertvollen Eindruck. Der Nutzer bewegt sich in einer ansprechenden Flash-Umgebung. Viele bunte Farben, liebevolle Zeichnungen, ansprechende und den Kindern bekannte Geschichten, lebhafte Stimmen der Vorleser und die richtige Mischung aus Spannung und rechtzeitiger Auflösung der selben lassen mich zu diesem Urteil kommen. Das sollte auch kleinere Kinder weder über- noch unterfordern.

Fraglich ist, ob das Angebot angenommen wird. Besonders Kinder sind ? vor allem bezüglich Fragen der publizistischen Qualität ? eine schwierige Zielgruppen, entsprechen ihre Vorliebe nicht immer unbedingt den Vorstellungen von Eltern und Medienmachern.

Ein gravierendes Problem aber, vor allem unter Berücksichtigung der Einleitung dieses Textes: Diejenige Personengruppe, die ihren Kindern nicht vorliest, und die Zielgruppe des Angebots sind augenscheinlich nicht deckungsgleich. Vor allem für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und sozialschwächeren Familien wäre solch ein Angebot sinnvoll. Sich Bilderbücher vorlesen zu lassen, ist allerdings nicht kostenlos. Ein Monatsabo kostet etwas mehr als drei Euro und ein Internetanschluss muss zudem noch finanziert werden. Schade eigentlich, da ist mehr Potenzial ? auch für die Bildungs- und Sozialarbeit.

Ein Berufsstand schonungslos in der Kritik

Journalisten sind Herdentiere. Journalisten übertreiben. Journalisten sind faul. Journalisten sind eitel. Journalisten sind vergesslich. Journalisten sind oberflächlich. Medien sind gierig. Zu diesen Ergebnissen kommt Jens Bergmann von „brand eins“ nach einer schonungslosen Analyse des journalistischen Berufsstandes in seinem Beitrag „Schlimmer geht immer“. Seine Argumentation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Das Beispiel „Maddie“ machte deutlich, dass Journalisten reflexartig agieren und dabei seien die Journalisten vollkommen aus ihrer eigentlichen Rolle als unabhängige Beobachter ausgeschert. Helfer bei der Suche, Ankläger, die auch die Eltern ins Visier nahmen, Empörte über die Titanic-Satire – So die Stationen der Verwandlung.
Warum müssen Journalisten übertreiben? Laut Bergmann ganz einfach: Es gibt einfach nicht genug Nachrichten. So werden Themen gepusht, skandalisiert und übertrieben: Vogelgrippe, Gammelfleisch und jedes Umweltproblem wird zur Katastrophe. In der politischen Berichterstattung aus Berlin löse eine „Nicht-Nachricht“ die andere ab.
Und wenn es dann mal Nachrichten gibt, bedeute das noch lange nicht, dass auch darüber berichtet wird. Nachrichten müssen ins Raster des jeweiligen Mediums passen. Stories ohne Prominente und ohne gute Bilder zur Illustration hätten es beispielsweise all zu oft schwer. Interessengruppen hätten es hingegen einfacher. Sie liefern den Journalisten genügend Futter, das diese nur noch aufnehmen müssten. Journalisten sind faul. Politiker hätten das sehr gut verstanden, so dass ihre Inszenierungen öffentlichkeitswirksam sind, egal wie viel Substanz dort zu holen sei, so Bergmann.
Journalisten vergessen ihr „Geschwätz von gestern“. Die Regierung wird erst bejubelt und später verdammt. Vergesslichkeit sei eine Voraussetzung für ständige Aufgeregtheit, schreibt Bergmann. Vor allem aber die eigenen Fehler räumten die Medien nicht ein. Kein Geheimnis: Rügen des Deutschen Presserats bleiben folgenlos und werden nicht an die große Glocke gehangen.
Eine weitere Erkenntnis: Boulevardthemen sind in allen Redaktionen angekommen. Selbst die öffentlich-rechtlichen Programme haben sich darauf eingelassen. Beispiele lassen sich auch in diesem Weblog genug finden. „Das Geschäft mit den Emotionen ist leichter kalkulierbar und verspricht höhere Rendite.“ Die Gehälter für Qualitätsjournalisten ließen sich einsparen und in teure Bildrechte an Promifotos investieren.
Gierige Medienunternehmen machen mit Schleichwerbung auf sich aufmerksam und verkaufen unter ihrer Marke u.a. Wein, Filme, Bücher. Das eigene Sortiment wird gern auch im redaktionellen Teil beworben. Trennung von werbung und Redaktion Fehlanzeige.

Ich finde, da ist erschreckend viel Wahres dran. Und vieles davon lässt sich darauf zurückführen, dass Medien ein Doppelleben führen. Der Auftrag, den sie für die Öffentlichkeit wahrnehmen, ist allzu häufig nicht mit ihrem Dasein als Wirtschaftsunternehmen zu vereinbaren. Immer schneller, immer neuer, immer aufregender – nicht immer bedeutet das auch mehr Qualität. Zudem führt uns diese Bestandsaufnahme vor Augen: Wir brauchen Medienkritik, heute vielleicht mehr denn je.

Timo und sein Leben im Podcast

Im Internet lassen sich zahlreiche Podcasts suchen und auf die besten stößt man manchmal nur durch Zufall. Ich finde Podcast vor allem aus einem Grund reizvoll: Sie bieten Platz für Experimente. Ob es nun darum geht die Schlagzeilen des Tages mal anders zu verpacken oder aber um Comedy in Podcast-Form.

Bei „Timo – Dein Leben ist herrlich“ trifft der nichtsnutzige Psychologiestudent Timo auf die schlagfertige Sozialpädagogikstudentin Melanie. Die Comedy-Novela läuft regelmäßig bei Radio Fritz, ist aber auch im Netz als Podcast abrufbar. Lustig ist dieser Podcast auf dreifache Art und Weise: (1.) Die Story ist liebevoll aufbereitet und witzig. (2.) Die Machart an sich sorgt für eine gewisse Komik mit einem Sprecher, der mit dem Protagonisten kommuniziert sowie die Gedanken von Melanie und Timo lesen kann und zudem immer wieder Phrasen drischt wie „Du bist jung“, „Die Nacht ist voller Überraschungen“, „Das Leben ist herrlich“, „Das Leben ist wunderbar“, „Das Leben ist voller Träume“, so dass (3.) das Format der (Radio-)Novela selbst lächerlich erscheint.
Die ersten 25 Folgen sind bereits erschienen und stehen als Podcast zum Download bereit. Reinhören lohnt sich.

Die HörerInnen des Mitteldeutschen Rundfunks kennen Timo und Melanie übrigens aus „Timo – Irgendwas ist immer“.

Die medienkritische Frankfurter Schule

Was ist denn da bei der Frankfurter Rundschau (FR) los? Ich war gestern überrascht und heute gleich noch einmal.

„Marco exklusiv“

Die FR machte gestern mit einer Story unter dem Titel „Marco exklusiv“ auf. Die Freilassung von Marco W. aus türkischer Haft an sich kann natürlich ein Aufmacherthema sein. Doch Peter Steinke und Edgar Auth kümmerten sich auf Seite 1 weniger um den Fall an sich als um das Berichterstattungsmonopol, das sich der Privatsender RTL gesichert hat. Die Autoren schreiben über das ausgestrahlte Exklusiv-Interview und die Situation, in der sich die Journalisten befinden, die vor Marcos Elternhaus in Uelzen warten. So wird als Kernpunkt der Kritik meines Erachtens völlig zurecht festgestellt: „Nur RTL sendet aus seinem Versteck. Es menschelt. So kanalisiert der Privatsender das riesige Interesse an Marcos Geschichte für die eigene Quote. Wie lange das Exklusivrecht währt, wann Marco auch anderen Medienvertretern Auskunft geben wird, dazu wollte sich ein Sprecher des Senders auf FR Anfrage nicht äußern, auch nicht über die Höhe des Exklusiv-Honorars.“ Es bleibt also nicht nur aus juristischer Perspektive spannend, denn wie dieser Fall gerade vermarktet wird, erinnert mehr an eine Castingshow als an halbwegs seriöse Nachrichten.

„In der ersten Reihe ist noch Platz“

Gestern also Medienkritik als Aufmacher auf Seite 1. Und heute? Da ging es ähnlich weiter. Auf den Seiten zwei und drei bekam die „neue TV-Unübersichtlichkeit“ als Thema des Tages ihr Fett weg. Die Öffentlich-Rechtlichen – allen voran ARD und ZDF – verlieren Zuschauer, Nachrichten verlieren ihre Zugkraft, Vox steht mit Formaten wie dem „Perfekten Dinner“ als Gewinner in der Zuschauergunst da, Marco findet erneut Erwähnung und und und. Der Artikel ist hier zu finden.

Erstaunlich finde ich – und ich hoffe, das ist bis hierhin einigermaßen deutlich geworden -, dass die FR in ihren jüngsten zwei Ausgaben medienbezogenen Themen solch eine exponierte Stellung und so viel Platz eingeräumt hat.

Kinderleichter Journalismus

Nachrichten zu schreiben, ist nicht gerade der einfachste Job. Vor allem mit der Verständlichkeit kann es schnell problematisch werden. Viele verschiedene Faktoren müssen beim Schreiben der Nachricht bedacht werden: Welches Vorwissen darf beim Rezipienten vorausgesetzt werden? Welches sprachliche Niveau ist angemessen? Was ist der Kern der Information und wie viel Platz kann/soll/darf/muss in der Zeitung oder im Programm gefüllt werden? Das sind nur einige Fragen, die eine Rolle spielen.

In der Praxisliteratur heißt es bei Walther von La Roche* zur Sicherung der Verständlichkeit unter anderem: „Bringen Sie nur, was Sie selbst verstanden haben“, „Berichten Sie anschaulich und genau“, „Erklären Sie Begriffe“, „Zeigen Sie Zusammenhänge auf“, „Suchen Sie nach dem treffenden Wort“, „Verwenden Sie das richtige Wort“ und „Vermeiden Sie Behördendeutsch“. Das alles sind Forderungen, die auch ich mir von meiner Zeitung Tag für Tag wünsche.

Sicherlich sind die hier aufgeführten Vorgaben für die Praxis nicht bei allen Themen einfach umsetzbar. Vor allem bei sehr komplexen Themen bleibt meiner Meinung nach die Verständlichkeit oft auf der Strecke. Dies betrifft nicht nur Nachrichten, sondern auch umfassendere Beiträge z.B. über die Föderalismusreform, die Finanzmärkte oder aber auch über die Rechtssetzung der Europäischen Union. Das sind Themen, bei denen die Leistung der Journalisten meiner Meinung nach darin besteht, sie so aufzubereiten, dass Komplexität soweit reduziert wird, dass die Inhalte für eine deutliche Mehrheit der LeserInnen (abseits vom Fachpublikum) zugänglich sind, ohne dabei zu starke Informationsverluste in der Sache zu produzieren.

Beeindruckend finde ich in diesem Zusammenhang, wieviel Mühe und Verständlichkeit in Nachrichten für Kinder stecken. Ob nun beim Trierischen Volksfreund mit den „Kindernachrichten“ als Beispiel für eine regionale Tageszeitung oder beim Klassiker „Logo“, dort wird Komplexitätsreduktion groß geschrieben. Ein sehr schönes aktuelles Beispiel ist mir vor wenigen Tagen im Radio zu Ohren gekommen. Es handelt sich dabei um die Serie „Tim fragt Tom“ bei SWR3. Tagesthemensprecher Tom Buhrow erklärt dort z.B. den Mindestlohn, den Datenschutz, den Leitzins, den Begriff OECD-Staaten oder aber auch die UNO kindgerecht. Fremdwörter werden gemieden, Behördendeutsch wird erklärt und Beispiele illustrieren jeden Gedankenschritt.

Ich gebe hier offen zu, auch ich höre dort gern rein und lese auch ab und zu Kindernachrichten. Da bin ich übrigens laut Volksfreund-Redaktion nicht der einzige. Und weil wir bald Weihnachten haben, will ich in diesem Zusammenhang noch was auf meinen Wunschzettel schreiben: Ich wünsche mir bei dem ein oder anderen Artikel im Politik- oder Wirtschaftsteil meiner abonnierten überregionalen Zeitung ein bisschen mehr von „Tim fragt Tom“. Wenn Zeitungen neue Leser erreichen wollen, dann dürfen sie nicht nur für Akademiker schreiben.

*vgl. Von La Roche, Walther, 2004: Einführung in den praktischen Journalismus, 16., völlig neu bearbeitete Auflage, S. 100-118.

Die Bahn macht Stimmung

Da habe ich nicht schlecht geguckt, als ich heute in der Frankfurter Rundschau auf Seite 11 angekommen war. Und auch die KommilitonInnen mit der Süddeutschen Zeitung in der Hand konnten eine ganzseitige Anzeige der Deutschen Bahn AG bestaunen. Wie Horizont.net berichtet, wurde die gleiche Anzeige unter anderem auch im Handelsblatt und der Bild-Bundesausgabe veröffentlicht.

Unter der Überschrift ?Stoppen Sie diesen Wahnsinn, Herr Schell!? erklärt die Deutsche Bahn ihre Sicht auf den Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). An ein Plädoyer für das Verhandlungsangebot der DB schließt sich ein Appell für den Erhalt der Tarifeinheit an, welches in den Worten gipfelt: ?Wenn das Schule macht, haben wir in Deutschlands Unternehmen bald das Tarifchaos. Das sehen nicht nur wir so. Das sehen die großen politischen Parteien so, das sehen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften so […]. Uns es geht darum, für die Lokführer etwas zu tun, Ihnen nur noch um die Macht der GDL.?

Schell kritisiert die Kampagne in einem Artikel von Welt online und wirft dem Bahnvorstand vor, dass dieser versuche seine Botschaft mit ?einer sündhaft teuren? Anzeige zu transportieren, da die Medien nicht so berichteten, wie die Bahn es gern hätte. GDL-Sprecher Maik Brandenburger legt gegenüber Horizont.net noch nach und sagt: ?Wenn die Bahn so viel Geld für ein vernünftiges Angebot verwendet hätte, hätten alle Seiten gewonnen.? Er stellt zudem klar, dass es keine Anzeigenkampagne geben werde, die aus der Streikkasse bezahlt wird.

Eines ist klar, die Bahn hat wohl die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zudem versucht sie mit dieser Anzeige ? vor allem was die Aufmachung und die bissigen Formulierungen angeht ? Stimmung zu machen und vor allem GDL-Chef Schell persönlich anzugreifen. Der wiederum ist mittlerweile Werbeobjekt des Autovermieters Sixt, da dieser nach eigenen Aussagen vom Lokführerstreik profitiere. Das Unternehmen bedankt sich, wie heute.de berichtet, ebenfalls mit einer ganzseitigen Anzeigenkampagne beim Gewerkschaftsvorsitzenden.

Wo die Liebe hinfällt

Maybrit Illner und René Obermann sind ein Liebespaar. Das berichtete FOCUS online mit Verweis auf die BILD-Zeitung. Nun kann man denken: Was hat die Beziehung der Moderatorin und des Telekom-Konzernchefs mit diesem medienwissenschaftlichen Weblog zu tun?

Eine Antwort liefert die Super Illu in ihrer gedruckten Ausgabe (Nr. 46, 08.11.07, S.86-87) sowie online unter dem Titel „Kann diese Liebe gut gehen?“. Dort wird unter anderem thematisiert, welche Auswirkungen diese Beziehung auf Illners berufliche Tätigkeit als Journalistin haben könnte. ZDF-Sprecher Alexander Stock sehe kein Problem, dass Maybritt Illner Privatleben und Beruf wohlmöglich nicht trennen könne. Zudem betont er, dass Illner in einer Redaktion arbeite und dieses Team für Unabhängigkeit gegenüber allen Dritten stehe. Professor Rüdiger Steinmetz (Medienwissenschaft an der Universität Leipzig) sieht die journalistische Sorgfaltspflicht und Ethik gefragt. Die Super Illu zitiert allerdings weiter – und das ist die eigentlich interessante Textpassage: „Sie kann René Obermann natürlich nicht in ihre Talkshow einladen. Das ist völlig inakzeptabel. Maybrit Iller behindert sich letztlich selbst. Weil sie bei brisanten Themen nun bedenken muss, wen sie in ihre Talkshow einlädt. Man kann natürlich niemandem verbieten sich zu verlieben. Aber sie tut sich keinen Gefallen damit. Und auch die Medienjournalisten werden sie künftig sehr beobachten.“

Eine Einschätzung, über die man sicherlich streiten darf – vor allem in normativer Hinsicht, denn die zentrale Frage lässt sich beliebig weiterdrehen: Dürfen JournalistInnen einen Lieblingsfußballverein haben, wenn sie über Sport berichten? Dürfen WirtschaftsjournalistInnen Aktien besitzen? Dürfen PolitikredakteurInnen ganz persönlich eine Partei präferieren und diese wählen?

Im Artikel des Stern-Onlineangebots zu diesem Thema wird mit Verweis auf einen weiteren ZDF-Sprecher darauf hingewiesen, dass Obermann weiterhin als Studiogast eingeladen werden solle. Die Beziehung könne keine Einschränkung der Themen bedeuten.
Spannend finde ich ferner die Einschätzung, dass Illner nun vermehrt Ziel von MedienjournalistInnen werden könnte. Wenn sie es gut einfädelt, kann sie es nutzen und es freut sich die Quote.

Irgendwie daneben

Auf der ersten Wirtschaft-Seite der Frankfurter Rundschau vom heutigen 18. Juli 2006 sorgte der Aufmacher bei mir für Verwirrung. Es mag am frühen Morgen gelegen haben. Es kann allerdings auch daran gelegen haben, dass die nummerische Infografik, die wohl offensichtlich zum Artikel gehört, in Zusammenhang mit der Überschrift etwas befremdlich wirkt. Da heißt es in der Überschrift: „Greenpeace entdeckt Gift im Obst“ Und in der Unterzeile: „Umweltschutzorganisation erstattet Anzeige gegen Händler / Amtliche Verbraucherschützer beanstanden Eis“. Warum ist dann auf dem Foto, welches fester Bestandteil der Infografik ist, ein Huhn zu sehen? Modularisierung und Visualisierung in allen Ehren, aber optimal gelöst sieht meiner Meinung nach anders aus.

FRBeitrag
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2 Minuten und 42 Sekunden für Lesemuffel

Ein gewöhnlicher Rock-/Pop-Song ist in etwa drei Minuten lang. Ein Buch zu lesen dauert eindeutig länger. Die Namen vieler Popstars sind dem durchschnittlichen Jugendlichen bekannt. Bei Buchautoren sind dies schätzungsweise wohl weniger als bei den Musikinterpreten.

Das Projekt „2:42 Literaturtracks“ versucht bekannte Popstars, von den Popstars favorisierten Lesestoff und das für Jugendliche vertraute mp3-Format zu verbinden.

„Das Projekt 2:42 ? Literaturtracks startet im Rahmen der Initiative Bildungspartner NRW ? Bibliothek und Schule, die das Land Nordrhein-Westfalen mit den Kommunalen Spitzenverbänden für fünf Jahre verabredet hat. Bildungspartner NRW wurde als Instrument zur Stärkung von Lesekompetenz konzipiert“, heißt es auf der Website.

Musiker lesen Textauszüge. Die 2:42 langen „Literatur-Singles“ stehen auf der Homepage des Projektes zum Download zur Verfügung. Musiker sollen gezielt die Möglichkeit bekommen, sich für Bildung zu engagieren, so die Projektidee.

Bisher haben sich unter anderem Afrob, Die Happy, Fetsum, Kettcar, Nosliw, Silbermond, Sportfreunde Stiller, Superpunk und Turnmeister engagiert. Die gelesenen Texte reichen von Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ bis Henning Mankells „Die rote Antilope“.

Ein interessanter Versuch etwas zur Verbesserung der Lese- und Medienkompetenz von Jugendlichen beizutragen.

Amnesty International im Kampf gegen Internet-Zensur

„The internet is the new frontline in the fight for human rights.“ Das schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) auf ihrer Website. AI hat zum 45. Geburtstag der Organisation eine Kampagne gegen Zensur im Internet gestartet.

Regierungen erhöhen ihr Bestreben das World Wide Web zu überwachen. Zensur für Meinungsäußerung im Internet sei Tatsache, so AI. Seit Sonntag ist Amnesty bemüht möglichst viele Internetnutzer dazu zu bewegen, eine Petition, in der Regierungen aufgefordert werden, die Zensur von Web-Sites zu beenden, zu unterzeichnen.

„Unternehmen sollten aufhören, Behörden bei der Unterdrückung von unliebsamen Äußerungen zu helfen. Die Unterschriftenliste will Amnesty im November bei einer Konferenz der Vereinten Nationen zur Zukunft des Internets präsentieren.“, so berichten unter anderem heute.de und derStandard.at.
Vor allem aus China, Tunesien, Vietnam, Iran, Israel und den Malediven seien Praktiken der Zensur bekannt. AI beschuldigt zudem auf der eigenen Website die Unternehmen Google und Yahoo, die Zensur durch Behörden und staatliche Stellen zu unterstützen.[Die konkreten Fälle und Streitpunkte sind unter dem jeweiligen Link zu finden.]

Das Internet als Raum, der es auch Menschen in Ländern, in denen Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich ist, erlaubt sich über Missstände auszutauschen und Meinungen mit der Weltöffentlichkeit zu teilen, scheint also eine Vorstellung zu sein, die so nicht real ist. Das schon allein ist so nicht hinnehmbar. Menschen müssen die Chance haben ihre Meinung ohne Angst vor Repressalien äußern zu dürfen. Alles andere ist unter Berücksichtigung der Menschenrechte nicht hinnehmbar. Viel erschreckender noch finde ich es allerdings, dass Fälle nachweisbar sind, in denen Unternehmen wie Google und Yahoo die Prozesse der Zensur unterstützen beziehungsweise mit Zensoren kooperieren. Auch dies ist meines Erachtens nach zu verurteilen.

Idee: Eine europäische Kommunikationsgebühr

Einige Mitglieder des europäischen Parlaments denken über die Einführung einer Steuer für SMS und E-Mail nach. Das meldet heute SpiegelOnline (SpOn) unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Reuters.

Eine Arbeitsgruppe um den französischen EU-Abgeordneten Alain Lamassource (UMP / EVP) habe die Steuerpläne, nach denen eine SMS um 1,5 Cent und eine E-Mail mit 0,00001 Cent besteuert werden könnte, entwickelt.

SpOn zitiert Lamassource: „Der Austausch zwischen den Ländern ist so rasant gewachsen, also würde jeder verstehen, dass das Geld, mit dem die EU finanziert wird, aus den Vorteilen gewonnen wird, die die EU mit sich bringt.“

In den USA wird unterdessen darüber diskutiert, ob mit einer Gebühr auf den E-Mail-Versand das Spam-Aufkommen eingeschränkt werden könnte. Ein interessanter Beitrag (mit Diskussion) ist dazu im Computer Woche Notizblog zu finden.

Meiner Meinung nach ist es nicht sinnvoll den Versand von E-Mails und SMS zu versteuern. Gerade beim E-Mail-Dienst müsste die EU erst einmal erklären, welchen Vorteil sie für den Versand von E-Mails mit sich bringt, der die Gebühr rechtfertigen würde. Im internationalen Rahmen gedacht, wäre eine EU-Gebühr sicherlich nicht von Vorteil. Es scheint eher so, als solle eine sehr ertragsreiche Einnahmequelle für die Europäische Union erschlossen werden. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit wohl hoch, dass auch andere Nationalstaaten – außerhalb der EU – die E-Mail als lukrative Einnahmequelle für sich entdecken könnten. Und die flächendeckende Einführung einer Kommunikationssteuer würde – weiter gedacht – den Digital Divide mit Sicherheit verschärfen. Hoffentlich verschickt Lamassource seine Mails dann über seinen privaten E-Mail-Account und nicht über die Postfächer der Europäischen Union…

Über die Machtversessenheit deutscher Journalisten

Frank A. Meyer – Chefpublizist des Schweizer Ringier Verlages – hielt auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche am 19./20.05.2006 eine – meiner Meinung nach – beeindruckende Rede. Abgedruckt wurde sie heute in der Frankfurter Rundschau (FR). Auch im Internet ist die Rede auszugsweise zu finden. „Gleichförmig. selbstherrlich, machtversessen – diesen Eindruck machen die deutschen Medien auf den Schweizer Journalisten Frank A. Meyer. Journalismus habe früher von Begegnungen, von sinnlichen Eindrücken gelebt. Heute würden zu oft vorgedachte Urteile aus dem Internet abgeschrieben.“ Treffend fasst die FR den Inhalt der Rede zusammen.

Meyer beschreibt die deutschen Medien in seiner Rede als Macht, die gewissermaßen losgelöst ist von der Bevölkerung. Es ginge nicht mehr darum, den Menschen alle Informationen, an die sie selbst nicht kommen können, zur Verfügung zu stellen, sondern vielmehr ginge es darum, dass Medien ihre Chance nutzen möchten, die (Regierungs-)Politik (noch vor dem Volk) zu bestimmen. Meyer behauptet, dass die deutschen Medien sich ihrer Macht bewusst wären und gezielt einsetzten. Zudem kritisiert er den journalistischen Berufsstand, der sich immer mehr zu einer „Kaste“ entwickle. Journalisten würden sich nicht mehr gegenseitig kritisieren und es entstünde ein „Mainstream in der Einschätzung von Politik oder Wirtschaft, von Politikern und Unternehmern, von Parteien und Verbänden und Gewerkschaften.“ „Gesellschaftliche Entwicklungen werden plötzlich, ohne böse Absicht, von den führenden Medien, von den Stimmungs- und Meinungsmachern unter den Journalisten sehr, sehr ähnlich gesehen – fatal ähnlich“, beschreibt Meyer seinen Eindruck.

So passt es nach Meyers Argumentation auch ins Bild, dass sich seiner Einschätzung nach, das Berufsbild des Journalisten seit den 1960er Jahren verändert habe. Früher sei Journalismus ein „Laufberuf“ gewesen. Journalisten gingen auf Demos, besuchten Politiker, Künstler etc. Der Journalist habe von seinen Eindrücken gelebt und vom Kennenlernen anderer Menschen. Journalisten im Jahr 2006 würden nur noch vorgefertigte Texte oder Textteile aus dem Internet zusammensetzen. Meinungen, Gerüchte und (falsche) Urteile würden übernommen werden. Meyer stellt fest: „So werden die Vorurteile und Falschurteile, Unwahrheiten und Unterstellungen über Menschen im System nicht nur konserviert, sondern auch regelmäßig neu aufbereitet. […] Am Bildschirm lässt es sich sehr bequem über Politiker oder Unternehmer journalistisch zu Gericht sitzen.“

Meyer ist kein Medienwissenschaftler und er hat über die deutsche Medienlandschaft keine Studie angelegt. Aber hunderte von Artikeln, zahlreiche Sendungen der deutschen Medien hätten ihm diese Eindrücke vermittelt. Und Meyer kann für seine Beobachtungen verbuchen, dass er kein Mitglied der deutschen Medienwelt und der deutschen Gesellschaft ist. Er hat also eine gewisse Distanz zum Beobachteten. So lässt sich meiner Meinung auch sagen, dass Meyer mit seinen Eindrücken sicherlich nicht völlig falsch liegt. Gerade der Eindruck, dass deutsche Medien sich in ihrer Einschätzung von Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gleichen sehr gleichen, ist ein Eindruck, den man auch als Mediennutzer relativ schnell gewinnen kann. Ob dieser Eindruck eine subjektive Täuschung oder Tatsache ist, gilt es stets wissenschaftlich zu überprüfen.
Der Agenda-Setting-Ansatz und die Meinungsführerforschung sind nur zwei Bereiche, in denen sich auch die Medienwissenschaft mit den von Meyer angesprochenen Entwicklungen wissenschaftlich auseinandersetzt.

Erwähnenswert ist noch, dass das Netzwerk Recherche einen Medienkodex entwickelt hat, in dem einige der angesprochenen Entwicklungstendenzen Berücksichtigung finden.

Storz raus, Vorkötter rein: Chefredakteur-Wechsel bei der Frankfurter Rundschau

Dr. Wolfgang Storz ist seit dem 16.05.2006 nicht mehr Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (FR). Das meldet heute die FR „in eigener Sache“. Auf der ersten Seite des Blattes kommt die Geschäftsführung der Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main GmbH (DuV) mit einer Pressemitteilung zu Wort. Dieser ist weiterhin zu entnehmen, dass Dr. Uwe Vorkötter, bisher Chefredakteur der Berliner Zeitung, zum 1. Juli 2006 Nachfolger von Storz werde. Laut Berliner Zeitung erfolgt das Aussscheiden Vorkötters in „bestem Einvernehmen“.
Weitere Erklärungen zur Entlassung Storz‘ wollten die Beteiligten der Gesellschafterversammlung nicht geben. Die Frankfurter Rundschau befindet sich zu 90 Prozent im Besitz der SPD-Holding DDVG.

Auf Unverständnis trifft die Entscheidung, Storz zu entlassen, bei der Redaktion der FR. In einer Stellungnahme der Redaktion heißt es: „Die Redaktion nimmt die Entscheidung des Mehrheitsgesellschafters zur Kenntnis, legt aber Wert auf die Feststellung, dass sie die Entlassung des Chefredakteurs nicht billigt.“ Die Redaktion hebt zudem Sorz‘ besonderes Engagement zum Erhalt der „FR als linksliberale, überregionale Qualitätszeitung“ hervor.

[Zur Zukunft in der Chefredaktion der Berliner Zeitung: ein Artikel von SPIEGELonline und ein Beitrag bei Publizistik in Berlin.]