In einer dreiteiligen Serie macht Kollege Stefan Weber auf dreiste Plagiate aufmerksam. Auch wenn die Serie letztendlich der Absatzförderung seines Buches geschuldet ist, ist es doch aufschlußreiche Lektüre – für Lehrende und für Studierende.
Teil 1 und Teil 2 sind bereits veröffentlicht, Teil 3 folgt wohl in den nächsten Tagen.
Meine Meinung nach dem Lesen des ersten Links: Man kann die „Fußnotenkultur“ an der Uni wirklich verorten, wenn man über die Paradigmengrenzen hinaus studiert: In der Mathematik fängt man in den Veranstaltungen buchstäblich bei 0 an und beweist konsequent jeden Satz, der später verwendet wird! Man benötigt erstmal überhaupt keine Fußnoten, schon gar keine mehr oder minder berühmten Autoren. Später kommen dann Verweise auf den Kanon hinzu. Das authentische gedankliche Nachvollziehen bereits gelöster Probleme steht also zunächst im Vordergrund.
In den Geisteswissenschschaften bedient man sich von Anfang an solcher Bezüge zum Aussagen-Kanon. Unklar bleibt dabei, ob die Schlussfolge des Urhebers wirklich verstanden wurde. Die elementare, streng analytische Betrachtung einzelner geisteswissenschaftlicher Theorien und Modelle scheint mir aber wichtig. Ein methodischer Kanon der Geisteswissenschaften kommt imho in der Lehre zu kurz. Und methodische Unklarheiten können halt schnell mit beliebigen Zitaten aus dem beliebigen Aussagen-Kanon geflickt werden. Gibt es davon schließlich so viele, dass selbst Lehrende zeitlich nicht mehr in der Lage sind, elementare Denkschritte zu überprüfen, dann ist das Chaos perfekt.
Die Nachhaltigkeit von Wissenschaft geht unter einem „Alles-ist-erlaubt“-Paradigma nur dann nicht verloren, wenn eine wissenschaftsethische Selbstdisziplin vorausgesetzt werden kann. Das impliziert aber ein „Bekenntnis“ der Betroffenen dazu!
Kann man so etwas in der Bachelor-Master-Umgebung von Morgen noch erwarten? Kann man von zahlenden Kunden noch die Integration in eine „wissenschaftliche Wertegemeinschaft“ erwarten? Sind wir nicht selbst schon weit davon entfernt, Wissenschaft in einen größeren, gesellschaftlichen Wirkkontext einzubinden, anstatt „nur“ in einen persönlichen?
Ich glaube wir befinden uns inmitten der gesellschaftlichen Evolution! Wissenschaft verabschiedet sich langsam von Ihrer gesellschaftlichen Aufgabe: Die Notwendigkeit von materiellem Wohlstand als primäre Grundlage für das Funktionieren unserer Gesellschaft scheint erkannt. Die Existenzängste der Einzelnen bündeln sich im Bedürfnis nach Planungssicherheit und systemischer Stabilität. Dann ist es aber ganz natürlich, dass die Abwägung zwischen Plagiat und persönlicher Zielvorstellung leicht fällt.
Die Selbstkritik darf nun nicht fehlen, wenn man diese Entwicklung vom wissenschaftsethischen Standpunkt aus kritisiert: Schließlich ist sie eine Folge der Existenzangst jedes Einzelnen, auf die auch die Wissenschaft keine Antwort zu geben vermag. Und der Teil der Geisteswissenschaften, welcher per Definition dazu in der Lage wäre, gilt aus einem verengten Verständnis heraus schon heute kaum mehr als Wissenschaft…