Die machtlosen Gladiatoren der Mediengesellschaft

Im gleichnamigen Essay auf Spiegel Online wagt der Politikwissenschaftler Franz Walter eine Analyse der Wirkungszusammenhänge zwischen Politik and der Medienberichterstattung über Politik, Bezugsmedium ist für ihn das TV.
Der Vereinfachungszwang denen die TV-Berichterstattung unterliegt, so Walter, beeinflusse die Abläufe im politischen Tagesgeschäft indirekt durch eine Art Inszenierungsdruck, schaffe ein Rollenerwartung beim Zuschauer, der der seriöse, produktive Funktionär nicht entsprechen kann. Der Versuch dieser Erwartung gerecht zu werden gehe demnach immer zu Lasten der eigentichen Aufgaben der Amtsinhaber.

Das Publikum erwartet von ihnen (den Politikern) die kraftvolle Pose. Also begeben sie sich so in Positur. Und sie ersetzen dadurch die Realität der kompromißdurchwirkten, unspektakulär und langsam funktionierenden Aushandlungsdemokratie durch die Attitüde forschen und energischen Handelns.

Wir behalten mal im Hinterkopf, dass die Politiker ihre Rolle somit selbst mit erschaffen.

Und weiter:

Im Übrigen fehlt es den TV-Politikern chronisch an Zeit. (…) Da (…) programmatische Konzeptualisierungen schwerlich in kameragerechte Mimiken zu übersetzen sind, wird für diese elementaren Spähren der Politik die Zeit verknappt. Die Politik passt sich so den Zeitrythmen und Geschwindigkeitsimperativen der TV-Gesellschaft an.

Die Politiker passen sich der Rollenerwartung der Medien an, es besteht also ein interdependenter Zusammenhang.

Und weiter:

Studiopolitiker unterhöhlen damit die institutionellen Fundamente des parlamentarischen Systems (…).

Generell entsteht für mich der Eindruck, dass die Medien (insbesondere TV) für den Autor durch ihre Erwartung einer bestimmten Darstellung einen bestimmten, sozial nicht wünschneswerten (real)politischen Stil erzwingen oder zumindest begünstigen.

Mit dem Resultat stimme ich soweit noch überein. Die Frage nach der Ursache für diese Entwicklung ist aber meiner Ansicht nach vom Autor unbedacht geblieben obwohl sie eine Neuinterpretation seiner Ausführungen zulässt.

Meiner Ansicht nach ist eben der Hintergund einer solchen interdependenten Rollenerwartung sehr stark an das generelle Verständnis von Medien und Politik geknüpft. Was der Autor hier beschreibt ist ein klassischer Intra-Rollenkonflikt, in seiner Berufsrolle kann der Politiker nicht gleichzeitig der Medienerwartung und dem Anspruch an sein politisches Handeln gerecht werden.

Was aber, wenn man die Medien im Sinne Luhmanns „Realität der Massenmedien“ nicht als nur beschreibenden, unselbständigen (reagierenden) Teil des Systems betrachtet, sondern als eigenes System welches sich aus der modernen Gesellschaft „herausdifferenziert“ hat. Diese, jetzt mal in Luhmann-Deutsch, „rekursiv stabilisierten Funktoren“ hätten ja auch die mediale Darstellung der Politik und dadurch auch die Rolle des Politikers im Sinne Walters erst durch Rekursion der interdependenten Erwartungen (also durch sich selbst) erschaffen. Sieht man also die Darstellung der Politik als Teil des Systems „Medien“ und die politische Arbeit als Teil des Systems „Politik“, so handelt es sich um einen Inter-Rollenkonflikt, also zwei Rollen mit unvereinbarer Rollenerwartung. Somit hat die Politik nur noch nicht begriffen, dass die Darstellung und die tatsächliche Ausführung von Politk zwei verschiedene Bereiche sind, sie also auch zwei Subsysteme braucht um ihnen zu entsprechen.

Das hieße nun, um nochmal Bezug auf den Artikel zu nehmen, dass

  • die Erwartungen an die Politik wechselseitig mit der Selbstdarstellung der Politiker entstanden sind, also von einer Einflussnahme der reinen Medienerwartung nicht gesprochen werden kann weil es sie nicht gibt (-> interdependentes Verhältnis).
  • die darstellende Politik nicht zu Lasten sondern unabhängig von der ausführenden Politik „passiert“ („Darsteller“ haben keine Zeit für Ausführung, Funktionären ist die Darstellung verwehrt).
  • die institutionellen Fundamente des parlamentarischen Systems damit unangetastet bleiben.
  • möglicherweise aufgrund der relativ modernen Entwicklung der Ausdifferenzierung der Medien als eigenens Funktionssystem die politischen Rollenbilder einem noch nicht abgeschlossenen Wandel unterliegen. Eine Möglichkeit wäre die personellen Trennung von Darstellung und Ausführung.

Walter zieht somit meiner Ansicht nach voreilige Schlüsse und zeichnet das Bild vom Niedergang eines Systems ohne sein eigenes Verständnis der Elemente zu hinterfragen. Sieht das jemand genauso?

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3 Gedanken zu „Die machtlosen Gladiatoren der Mediengesellschaft

  1. Ich persönlich denke, dass die „darstellende Politik“, wie du es schreibst, sehr wohl zu Lasten der „ausführenden Politik“ passieren kann. Häufig sehen sich Politiker durch die Medien gezwungen, frühzeitig zu einem Thema Stellung zu beziehen oder Lösungsvorschläge parat zu haben, die dann voreilig vor den Kameras geäußert werden.
    Aus den Äußerungen und Auftritten der Politiker in den Medien können dann wiederum Diskussionen oder Probleme entstehen, die sich auf die „reale“ Politik auswirken.

  2. Wie gesagt, mit Walters und Deinem Ergebnis stimme ich überein.
    Ich halte nur Walters These („die Medienberichterstattung über Politik ist eine Gefahr für die institutionellen Fundamente des parlamentarischen Systems“) für sehr gewagt und wollte das mal von einer anderen Perspektive aus angehen.

    Alleine schon der Zeitfaktor macht das offensichtlich, dass die ständige „Darstellungs- bzw Inszenierungspflicht“ die politische Arbeit der einzelnen Personen (Darsteller) beeinträchtigt.
    Diese einzelnen Darstellungen können (wie Du ausführst) auf einer zweiten Stufe selbst zu Anlässen erneuter Darstellung anderer Politiker werden etc., oder diese vielleicht sogar „erzwingen“.
    Die Rollenerwartung, von der du sprichst („Häufig sehen…geäußert werden.“), ist aber kein „schlechter“ Medieneinfluss von außen auf die Politiker, sondern durch deren Selbstdarstellung wurde diese Rolle erst mit geprägt.
    Die Auswirkungen auf die „reale“ Politik entstehen bei Entsprechung der Rollenerwartung und sind somit Teil der Erwartungshaltung.
    Die Konflikte, die sich nun daraus ergeben lassen ja eine Vielzahl von Ursachen logisch zu.
    U.A.: Einen noch andauernden Wandel der Rollen hin zu einer Trennung von „Darstellern“ und „Funktionären“(Walter selbst spricht ja bereits von „Funktionären“ und „Studiopolitikern“).
    Daher ist der logische Schluss aus diesen Konflikten keineswegs grundsätzlich (und so stellt Walter das dar) eine Gefahr unseres parlamentarischen Systems durch die Berichterstattung der TV Sender und ihr Einfluss auf realpolitische Entscheidungen Teil des Selbstverständnisses des Politikers.

  3. Der letzte Teil ist glaub ich etwas verwirrend.
    So besser:

    Daher ist der logische Schluss aus diesen Konflikten keineswegs grundsätzlich (und so stellt Walter das dar) eine Gefahr unseres parlamentarischen Systems durch die Berichterstattung der TV Sender. Ihr Einfluss auf realpolitische Entscheidungen ist vielmehr Teil des Selbstverständnisses des Politikers.

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