Frank A. Meyer – Chefpublizist des Schweizer Ringier Verlages – hielt auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche am 19./20.05.2006 eine – meiner Meinung nach – beeindruckende Rede. Abgedruckt wurde sie heute in der Frankfurter Rundschau (FR). Auch im Internet ist die Rede auszugsweise zu finden. „Gleichförmig. selbstherrlich, machtversessen – diesen Eindruck machen die deutschen Medien auf den Schweizer Journalisten Frank A. Meyer. Journalismus habe früher von Begegnungen, von sinnlichen Eindrücken gelebt. Heute würden zu oft vorgedachte Urteile aus dem Internet abgeschrieben.“ Treffend fasst die FR den Inhalt der Rede zusammen.
Meyer beschreibt die deutschen Medien in seiner Rede als Macht, die gewissermaßen losgelöst ist von der Bevölkerung. Es ginge nicht mehr darum, den Menschen alle Informationen, an die sie selbst nicht kommen können, zur Verfügung zu stellen, sondern vielmehr ginge es darum, dass Medien ihre Chance nutzen möchten, die (Regierungs-)Politik (noch vor dem Volk) zu bestimmen. Meyer behauptet, dass die deutschen Medien sich ihrer Macht bewusst wären und gezielt einsetzten. Zudem kritisiert er den journalistischen Berufsstand, der sich immer mehr zu einer „Kaste“ entwickle. Journalisten würden sich nicht mehr gegenseitig kritisieren und es entstünde ein „Mainstream in der Einschätzung von Politik oder Wirtschaft, von Politikern und Unternehmern, von Parteien und Verbänden und Gewerkschaften.“ „Gesellschaftliche Entwicklungen werden plötzlich, ohne böse Absicht, von den führenden Medien, von den Stimmungs- und Meinungsmachern unter den Journalisten sehr, sehr ähnlich gesehen – fatal ähnlich“, beschreibt Meyer seinen Eindruck.
So passt es nach Meyers Argumentation auch ins Bild, dass sich seiner Einschätzung nach, das Berufsbild des Journalisten seit den 1960er Jahren verändert habe. Früher sei Journalismus ein „Laufberuf“ gewesen. Journalisten gingen auf Demos, besuchten Politiker, Künstler etc. Der Journalist habe von seinen Eindrücken gelebt und vom Kennenlernen anderer Menschen. Journalisten im Jahr 2006 würden nur noch vorgefertigte Texte oder Textteile aus dem Internet zusammensetzen. Meinungen, Gerüchte und (falsche) Urteile würden übernommen werden. Meyer stellt fest: „So werden die Vorurteile und Falschurteile, Unwahrheiten und Unterstellungen über Menschen im System nicht nur konserviert, sondern auch regelmäßig neu aufbereitet. […] Am Bildschirm lässt es sich sehr bequem über Politiker oder Unternehmer journalistisch zu Gericht sitzen.“
Meyer ist kein Medienwissenschaftler und er hat über die deutsche Medienlandschaft keine Studie angelegt. Aber hunderte von Artikeln, zahlreiche Sendungen der deutschen Medien hätten ihm diese Eindrücke vermittelt. Und Meyer kann für seine Beobachtungen verbuchen, dass er kein Mitglied der deutschen Medienwelt und der deutschen Gesellschaft ist. Er hat also eine gewisse Distanz zum Beobachteten. So lässt sich meiner Meinung auch sagen, dass Meyer mit seinen Eindrücken sicherlich nicht völlig falsch liegt. Gerade der Eindruck, dass deutsche Medien sich in ihrer Einschätzung von Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gleichen sehr gleichen, ist ein Eindruck, den man auch als Mediennutzer relativ schnell gewinnen kann. Ob dieser Eindruck eine subjektive Täuschung oder Tatsache ist, gilt es stets wissenschaftlich zu überprüfen.
Der Agenda-Setting-Ansatz und die Meinungsführerforschung sind nur zwei Bereiche, in denen sich auch die Medienwissenschaft mit den von Meyer angesprochenen Entwicklungen wissenschaftlich auseinandersetzt.
Erwähnenswert ist noch, dass das Netzwerk Recherche einen Medienkodex entwickelt hat, in dem einige der angesprochenen Entwicklungstendenzen Berücksichtigung finden.
?Gleichförmig. selbstherrlich, machtversessen“ – diese Attribute sollten zunächst einmal jeden deutschen Medienmacher in Deutschland äußerst nachdenklich machen, ja, einem sogar wehtun.
Sicherlich ist Meyers Kritik nicht unbedingt zu verallgemeinern, bei weitem nicht alle Journalisten sind machtversessen oder schwimmen gleichförmig mit dem Strom, indem sie ? ausschließlich in der muffigen Redaktion sitzend – nach der „Paste-Copy“-Methode ihre Artikel zusammen schneidern. Gerade bei kleineren Zeitungen – auf regionaler oder sogar auf lokaler Ebene – findet durchaus noch (investigativer) Journalismus statt und auch auf nationaler Ebene gibt es Journalisten, die erkennbar aus der grauen Masse hervorstechen.
Doch Meyers „Brandrede“ ist keinesfalls aus der Luft gegriffen, die Macht der Medien in einer immer größeren/globaleren Medienöffentlichkeit wird deutlicher, was die 4. Macht im Staate natürlich auch selbst längst erkannt hat („Machtversessenheit“, „Selbstherrlichkeit“ ). Die „Gleichförmigkeit“ auf der großen Medienbühne lässt sich an vielen Beispielen belegen, bezeichnend etwa die vorschnelle „Kanzlerwahl“ in nahezu allen deutschen Medien im Vorfeld der wirklichen Bundestagswahlen im vergangenen Herbst.
Meyer spricht in seiner Rede von den Medien „als selbstbezogene gesellschaftliche Kraft“, was angesichts von Show-Ereignissen wie der – ebenfalls von Meyer angesprochenen ? (über-)inszenierten Verleihung des Henri-Nannen-Preises für Journalisten sicherlich nicht übertrieben ist.
Auch an anderer Stelle treten Journalisten immer häufiger als Akteure statt als Vermittler auf, besonders heftig wurde dies zuletzt etwa beim Sportjournalismus kritisiert, wo teilweise jegliche Nähe zwischen Sportlern und Journalisten verloren ging (Stichwort „Weißbier-Waldi“, der bei der Meisterfeier des FC Bayern mit Bierglas unter den Feiernden Fußballern dabei ist). Gegen diesen Objektivitäts- und Qualitätsverlust hat sich etwa die Initiative „Sportnetzwerk“ formiert.
Trotz aller Kritik und Schwarzmalerei ist der Journalismus in Deutschland meiner Meinung nach keineswegs beängstigend gefährdet. Trotzdem denke ich, ist eine Rede, wie die von Frank A. Meyer, für die Medien (sowie für die Journalisten) durchaus Anlass genug, einmal über ihre Rolle und die Rolle des Journalismus sowie über Gefahren, Risiken und Folgen ihrer öffentlichen Arbeit nachzudenken, gerade in einer Zeit der immer weiter ausufernden Mediengesellschaft, in der „kleine Ereignisse“ plötzlich für „große Aufregung“ sorgen können (etwa im Falle der Mohammed-Karrikaturen).
Denn nur durch gründliches Reflektieren über die eigene Arbeitsweise kann sich das journalistische Selbstverständnis hierzulande (wieder zum Besseren hin) ändern.