Zum zweiten Mal in drei Monaten sollte ein Tatort inmitten der „türkischen Gemeinde“ spielen. Dem ersten (im Dezember 2007) folgten Proteste und Demonstrationen, der zweite wurde nun vor der Ausstrahlung verschoben. Die Meinungen zu dieser Entscheidung gingen auseinander. Landesvater Beck wusste sich öffentlich zu platzieren und auch SWR Intendant Peter Boudgoust wurde „in Sachen Pietät“ viel zitiert:
„Eine Entscheidung von dieser Tragweite muss sorgfältig erwogen werden. Aber soviel steht fest: Wir sind uns unserer eigenen Verantwortung bewusst und brauchen in Sachen Pietät keine Nachhilfe von der Politik.“ (swr.de)
Ganz abgesehen von berechtigten Überlegungen der Rücksichtnahme gegenüber der derzeitig trauernden Bevölkerung Ludwigshafens, ist die gefallene Entscheidung einzuordnen in die andauernde Integrationsdebatte. Der Stern beruft sich auf die Sichtung einer Vorabkopie der Sendung und entscheidet:
„Die feinen Differenzierungen des Drehbuchs verhindern jedoch, dass die Familie zum Abziehbild der Parallelgesellschaft verkommt. Im Gegenteil: Die Filmfiguren positionieren sich individuell – und zum Teil überraschend – zur Kultur der türkischen Einwanderer. Zweifellos ist dieser Tatort ein ebenso kritischer wie geglückter Zwischenruf zum Thema.“ (stern.de)
Allsonntäglich konfrontiert uns der Tatort mit Klischees: Killerspiele machen Jugendliche zu Mördern, Sozialarbeiter sind pädophil, Ärzte pfuschen mit HIV-infizierten Blutkonserven, Hohe Tiere in Wirtschaft und Politik sind korrupt und in „hinterwäldlerischen“ Dorfgemeinschaften wimmelt es nur so vor Inzest und Kindesmissbrauch. Gab es bisher medienwirksame Beschwerden einer der angesprochenen Gruppen vergleichbar mit der Beschwerde der Alevitischen Gemeinschaft? Mir blieb jedenfalls keine in Erinnerung. Die taz versieht einen kritischen Artikel zum Thema mit dem „Hinweis: Folgende Zeilen enthalten Material, das die Gefühle von Deutschen verschiedenster regionaler Herkunft verletzen könnte.“ . Ohne Zweifel ist mittlerweile die Integrationsdebatte auch zum Scheideweg in Hinsicht auf Meinungs- und Pressefreiheit geworden.
„Im Fall des Ludwighafener Tatorts mit der ansonsten nicht weiter aufregenden Kommissarin Lena Odenthal führt dies unmittelbar dazu, dass die Türkische Gemeinde (TGD) die Gelegenheit nutzt, einen vermeintlichen medialen Trend zu kritisieren: Menschen mit Migrationshintergrund „vermehrt mit kriminellen, klischee- und vorurteilbehafteten Themen in Zusammenhang“ zu bringen, so Seref Erkayhan, stellvertretender TGD-Bundesvorsitzender.“ (taz)
Es ist ein schmaler Grad zwischen Pietät und Pressefreiheit auf dem sich die ARD in dieser Woche bewegt hat. Hat sie aber auch zweifelsfrei die richtige Entscheidung getroffen?
Es ist eigentlich ziemlich schlimm, dass die ARD, bzw. der SWR auf Landesvater Beck hört. Hat die Regierung zuviel Einfluss?
Im Zweifel muss es immer für die Pressefreiheit heißen.