Der Tod eines Teenagers und seine Folgen

Megan Meier ist dreizehn und zu dick, trägt eine Zahnspange und ist wegen depressiver Veranlagung in Therapie. Aber es geht aufwärts: In letzter Zeit verliert sie Gewicht, die Zahnspange soll raus – und sie hat einen Freund. Er lebt mit zwei Brüdern bei der alleinerziehenden Mutter, spielt Gitarre und Schlagzeug. Sagt er zumindest, den hübschen Sechzehnjährigen kennt Megan bloß über das Internet.

Zuerst ist Tina Meier skeptisch, was den Internetjungen angeht. Aber sie hat ein Auge auf die Aktivitäten ihrer Tochter, kennt die Passwörter und ist in die Gespräche eingeweiht. Josh Evans ist ein netter Junge, der keine privaten Daten haben will, keine unanständigen Dinge fragt und sich einfach für Megan interessiert.

Bis er eines Tages ankündigt, dass er mit ihr nicht mehr befreundet sein will, weil er gehört habe, sie sei nicht nett zu Freunden. Megan weiß nicht, was los ist, will ihn zur Rede stellen. Innerhalb von Stunden verschickt Josh weitere, immer aggressivere Nachrichten, erhält überdies Unterstützung von anderen Nutzern, und plötzlich weiß ganz MySpace: Megan Meier ist eine fette Schlampe. Als die Mutter nach Hause kommt, pöbelt Megan verzweifelt zurück, sie wird zum Ausloggen gezwungen und verschwindet wütend in ihrem Zimmer.

Am nächsten Tag stirbt sie im Krankenhaus. Sie hat versucht sich in ihrem Kleiderschrank zu erhängen.

Was Megan nie erfährt: Es gibt keinen Josh. Er ist die Erfindung einer ehemaligen Freundin, die Megan eins auswischen will. Zusammen mit ihrer Mutter und immer mehr Bekannten, Jugendlichen wie Erwachsenen, erschafft diese einen Freund, den Megan jeden Tag lieber gewinnen soll, bis er sich dafür rächen kann, dass sie nicht nett zu Freunden gewesen sei.
Eine depressive Dreizehnjährige wird in den Selbstmord getrieben. Das ist tragisch, aber so weit nichts Neues. Eine alte Geschichte, übertragen ins MySpace-Zeitalter.

Tatsächlich hat die ganze Sache auch etwa ein Jahr vor sich hingeköchelt. Megans Tod war kurz Thema der Lokalnachrichten, aber bald vergessen. Die Eltern versuchten so gut wie möglich das Leben weitergehen zu lassen und die Nachbarn fühlten sich schuldig, auch wenn sie der Meinung sind, dass die psyschichen Probleme des Mädchens früher oder später auch ohne Josh zu einem solchen Ende geführt hätten. Durch eine andere Nachbarin, deren Tochter ebenfalls Zugriff zum Josh-Account hatte, erfuhren die Meiers schließlich von dem Spiel – und durch einen Artikel von Steve Pokin Anfang November das Internet.

Dessen Reaktion war eindeutig: Die Schuldigen finden und bestrafen. Pokin hat keine Namen veröffentlicht, aber keine Woche später hatten die Nutzer von rund 80.000 Sites, auf denen der Fall mittlerweile diskutiert wurde, eine verdächtige Familie gefunden.
Wie nun damit umgehen? Ein Gesetz gibt es, wie üblich, nicht – noch nicht. Als Reaktion auf den Fall und seine Resonanz planen die Behörden des Bezirks, Cyber-Mobbing zum Vergehen zu erklären, das mit bis zu 90 Tagen Haft oder 500 Dollar Geldstrafe geahndet wird. Vielen Bloggern jedoch wird das nicht genug sein („I hope you fuckers burn in hell“).

Handelt es sich hier um eine Selbstreinigungsaktion, in der diejenigen, die das Netz missbrauchen, seinen Zorn zu spüren bekommen? Oder trägt die plötzliche Verbreitung dazu bei eine – zugegeben dramatische – Geschichte so weit aufzublasen, dass eigentlich völlig Unbeteiligte plötzlich zum Einwerfen von Fensterscheiben in einen Vorort in Missouri fahren?

Quelle:
Spiegel online

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2 Gedanken zu „Der Tod eines Teenagers und seine Folgen

  1. Ich finde das problematisch. Es sind Kinder, die im Internet im großen Stil das machen, was schon immer gemacht worden ist. Früher hieß das mal „hänseln“ und nicht „mobben“. Es gab auch schon vor dem Internet Fälle von dicken, pubertierenden Mädchen, denen Dinge vorgegaukelt worden sind und die fallengelassen worden sind und die daran schier zerbrochen sind.
    Im Internet geht sowas anonymer und – sagen wir mal – globaler.
    Dennoch sind es Kinder, die eigentlich die Folgen ihrer Handlungen überhaupt nicht einschätzen können und die vor allem auch nicht unbedingt damit rechnen, dass ihr Opfer psychisch labil ist.
    Es gibt (noch) keine Gesetze für solche Fälle und diese Situation ist schwierig. Jedoch gibt es auch Milliarden von Facetten, sodass eine genaue Einordnung von „Cybervergehen“ kompliziert sein dürfte.
    Die Folgen dieses Vorfalls sind jedenfalls überregionaler, als sie es früher bei einem solchen Fall gewesen wären. Aber im Internet ist es leicht überregional zu mobben, also gibt es auch überregionale Folgen.

  2. Ich denke, das wichtige an diesem Beispiel ist, dass es wiederholt zeigt, dass es viel zu leicht ist sich falsche Identitäten zuzulegen bei solchen Kommunikationsplatformen, ob das nun mobbende Teenager bei myspace, Pädophile in Chatrooms oder meine Mitbewohnerinnen und ich bei ElitePartner sind.

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